Wien und die Klimakrise

von Stadtstreunerin | Eva

Ich habe es mir nicht ausgesucht, in Wien zu leben. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und na ja, jetzt bin ich halt immer noch in Wien. Ob ich gerne hier lebe, kann ich eigentlich nicht beantworten. Manchmal wäre ich gerne woanders, ich träume oft von Berlin. Dann aber packt mich wieder diese urwienerische Mischung aus Kaffeehaus, Wienerwald und Alter Donau und ich weiß, allzu weit werde ich wohl nicht kommen. 

Die Stadt hat sich seit den späten 80er-Jahren, als ich hier auf die Welt gekommen bin, gewaltig verändert. Sie ist vom Rand ins Zentrum Europas gerückt, ist um einiges gewachsen und schöner, bunter und vielfältiger geworden. Trotzdem mache ich mir Sorgen um Wien. Die Auswirkungen des Klimawandels sind jedes Jahr noch ein bisschen stärker zu spüren – am deutlichsten in Form von Hitzewellen – und ich habe Zweifel, dass Wien damit gut umgehen kann. 

Während die rot-pinke Wiener Stadtregierung seit einiger Zeit von der „Klimamusterstadt Wien“ spricht, von der „grünsten Stadt der Welt“ und der „lebenswertesten Stadt der Welt“, ist mein Eindruck ein anderer. Ich gehe hier zuerst darauf ein, wie sich die extrem heißen Temperaturen in Wien auswirken, und schreibe dann über das, was die Hitze weiter antreibt: die CO2-Emissionen des Verkehrs sowie die Versieglung der Stadt durch Straßen und Gebäude.

Heiß, heißer, Wien

Die erste Hitzewelle des Jahres liegt hinter uns und schon sind wir mittendrin in der nächsten. Die warme Jahreszeit ist in Wien schon seit einigen Jahren nicht mehr „schee“, wie Ernst Palicek das vor sechs Jahren so herrlich besungen hat. 

In der dicht verbauten Stadt ist es an den heißen Sommertagen einfach unerträglich, stickig und grauslich. Früher wollte ich zentraler wohnen, aber jetzt bin ich wirklich froh, dass ich in der Vorstadt geblieben bin und wenigstens abends den kühlen Luftzug vom nahen Wienerwald spüren kann. 

Wien vom Wienerwald aus

Freilich ist es immer noch fein, in der Alten Donau zu plantschen und im Schatten hoher Bäume zu liegen. Aber selbst dort fällt auf, dass etwas nicht stimmt: Das Gras ist verdorrt, die strohigen Wiesen erinnern an den letzten Urlaub irgendwo in Südeuropa. Es ist nicht nur heiß in Wien, sondern auch viel zu trocken: Letztes Jahr im Frühjahr hat es wochenlang nicht geregnet, im Wienerwald etwas außerhalb von Wien sind sogar kleinere Brände ausgebrochen. 

Wüstenstadt Wien

Die Warming Stripes zeigen es deutlich: Es wird immer heißer in Wien. Wien ist einer internationalen Studie zufolge von den Auswirkungen des Klimawandels sogar besonders stark betroffen; schon in den letzten vier Jahrzehnten ist die Durchschnittstemperatur in Wien gleich um ganze zwei Grad (!) gestiegen, heißt es auf der Homepage der Stadt Wien. Tendenz weiterhin steigend.

Warming Stripes für Wien (Zeitraum 1775-2020)

Wir müssen uns also darauf einstellen, dass auch in Wien die Temperaturen irgendwann mal 40 Grad erreichen – und dass dieses „irgendwann mal“ schon heuer oder kommendes Jahr sein könnte. Die Hitze hat massive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung, das Arbeitsleben und die Infrastruktur. Extreme Hitze bringt das Leben zum Stillstand. Und wie auch in der Corona-Krise trifft es diejenigen am stärksten, die sich nicht dagegen wehren können: Kinder, ältere Menschen, Kranke, Menschen mit geringem Einkommen. Die Stadt Wien kann diese Entwicklung also nicht ignorieren.

Das tut sie auch nicht: Die Stadt baut ihr Fernkälte-System aus, pflanzt neue Bäume, legt Parks und Gemeinschaftsgärten an und erweitert das Angebot an Brunnen und Sprühnebelduschen. Es gibt eine eigene Wiener Hitzekarte, um Hitze-Hotspots gezielt zu erkennen; auf der Donauinsel weiden Schafe, um den Rasenmäher einzusparen.

Gemeinsames Garteln

Für mich ist das allerdings trotzdem zu wenig – und angesichts der tiefgreifenden Veränderungen im Stadtleben auch nicht radikal genug. Matthias Winterer hat es in der Wiener Zeitung auf den Punkt gebracht:

Die Notwendigkeit von Sprühlanzen ist eine Katastrophe. Dass der öffentliche Raum ohne künstliche Kühlung nicht mehr nutzbar ist, ein Desaster. Sprühlanzen sind eine in Edelstahl manifestierte Warnung: Es ist zu heiß.

Ein paar zusätzliche Bäume und Wasserspender werden nicht reichen, zumal ein wichtiger Angriffspunkt im Kampf gegen die Hitze trotz aller Maßnahmen so gut wie unangetastet bleibt: die Versiegelung durch Straßen, Parkplätze, Gebäude und – damit einhergehend – der Kfz-Verkehr.

Blumen in der Betonstadt

Autos über alles

Wer durch die inneren Bezirke schlendert, kann sich kaum vorstellen, dass Wien die „grünste Stadt der Welt“ sein soll. Der mit 53% ja wirklich außerordentlich hohe Grünanteil der Stadt findet sich zum großen Teil im wunderschönen Grüngürtel der Stadt (Wienerwald, Lobau, Donauinsel, Prater…). Gerade die zentralen Bezirke rund um die Innenstadt, aber auch die traditionellen Arbeiter*innenbezirke sind dagegen großteils versiegelt.

Alles zu!

Das ist allerdings nicht in den Asphalt gemeißelt. Hunderttausende Parkplätze und zahlreiche mehrspurige Straßen könnten zumindest teilweise entsiegelt werden, wenn die Stadtregierung gegen den Treibhausgastreiber Nr. 1 – den Kfz-Verkehr – vorgehen würde. Die „Wiener Querschnitte“ des Bloggers Georg Scherer zeigen eindrücklich, wie viel Platz in der Stadt eigentlich vorhanden wäre – Platz für breitere Gehsteige, sichere Radwege, Bäume, Spielplätze, Bühnen, Bankerl, Eissalons, Parks, Brunnen…

71,2% der Straße für Fahrbahn und Parkplätze

Der öffentliche Raum gehört in Wien aber immer noch den Autos. Die „coolen Straßen“ vom vorigen Jahr (vorübergehend für den Autoverkehr gesperrte Straßen) sind schon wieder passé, wohl aus parteipolitischem Kalkül – die Brunnen und Sprühlanzen müssen zur Abkühlung reichen. (Ein unfreiwillig komisches Video zeigt, wie der Sprühnebel einen PKW abkühlt.)

Liebe… für das Auto

Und als ob der Status quo nicht schon schlimm genug wäre, setzt die Wiener Stadtregierung auf noch mehr Straßen und will sogar den Nationalpark Lobau untertunneln – gegen jeden wissenschaftlichen Rat. Bei der geplanten Umgestaltung des Pratersterns sollen „Sträucher den Autoverkehr zumindest optisch reduzieren“ (sic!); der große Parkplatz am Naschmarkt soll kein Park, sondern eine Markthalle werden. Von einem Trend zur Entsiegelung oder gar einer gerechten Raumverteilung keine Spur. 

Die Infrastruktur für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen lässt daneben vielerorts zu wünschen übrig oder wird sogar wieder aufgelassen. Auch die erfolgreichen Pop-up-Radwege vom vergangenen Jahr sind wieder Geschichte. Wien möchte im Jahr 2021 das bestehende Radwegnetz um ganze acht Kilometer erweitern. Acht Kilometer!

So modern wie ein Dino: die Wiener Verkehrspolitik

Die Selbstbezeichnung „Klimamusterstadt“ ist damit sowieso als Propaganda-Schmäh entlarvt. Aber auch die stolze Bezeichnung „lebenswerteste Stadt der Welt“ hinterfrage ich immer wieder, besonders an den unerträglichen Hitzetagen.

Für wen ist Wien denn noch lebenswert, wenn es in den Wohnungen selbst in der Nacht 30 Grad hat? Freilich: Wer die Wahl zwischen der Villa im Grünen und dem klimatisierten SUV hat, hat leicht lachen. Aber eine sozialdemokratisch angeführte Stadtregierung sollte sich – nein, muss sich! – für ein lebenswertes Leben für alle einsetzen.

Beton und Glas

Das Ausmaß der Wiener Versiegelungswut zeigt sich auch im Bereich des Wohnbaus. Hier gilt oftmals die Devise: „Versiegeln, was nur geht“. Beispiele für regelrechte Asphaltwüsten finden sich gerade in den Neubauvierteln der Stadt, etwa im Nordbahnviertel oder in der Seestadt Aspern – glühende Temperaturen im Sommer garantiert. 

Ein Brunnen kühlt den Asphalt (Seestadt Aspern)

Polemisch, aber doch zutreffend formuliert es Michael Pommer in der Kronen Zeitung:

Wenn Stadtplaner Menschen hassen, kommt so etwas wie die Seestadt Aspern in Wien heraus.

Das Streben nach maximaler Verdichtung führt dazu, dass auf dem Gelände einer ehemaligen Villa gleich drei neue Gebäude errichtet werden – oder dass neben einem neuen Schulcampus für über 1.000 Kinder noch Wohnblöcke mit 450 Wohnungen errichtet werden. Ein großzügiger Garten hat da leider, leider keinen Platz mehr. Platz für Beton statt für Menschen, Tiere und Pflanzen.

Noch dazu setzen die Baufirmen bei fast allen Neubauten auf eine Kombination aus Beton und Glas, anstatt umweltfreundlich zu bauen – und vor allem so, dass das Leben und Lernen auch in ein paar Jahren noch angenehm ist. Das bisschen Photovoltaik am Dach kann die Betonbauten jedenfalls nicht abkühlen!

Beton und Glas, wie leicht bricht das…

Dazu kommt noch, dass ganze Neubauviertel nicht an das bestehende Radwegnetz angeschlossen werden oder es kein nachhaltiges Verkehrskonzept für den bereits erwähnten Schulcampus gibt. Wien tut hier einfach so, als gäbe es kein Morgen. 

Das Klima in der Stadt

Ich will Wien nicht schlechtreden. Es gibt auch in Wien viele positive Entwicklungen und neue Bäume sind definitiv besser als keine Bäume. Außerdem ist es anderswo ja „noch viel schlimmer“. Dieses Argument zieht bei mir aber nicht.

Die Weltstadt Wien sollte sich an den State-of-the-art-Standards der internationalen Stadtplanung orientieren. Die Auswirkungen der Erderwärmung müssen in jedem Detail mitgedacht werden – ganz besonders dann, wenn sich Wien weiterhin als „Klimamusterstadt“ und „lebenswerteste Stadt der Welt“ feiern möchte. 

Großstadtdschungel verzweifelt gesucht

Momentan sehe ich allerdings nur, dass die Wiener Stadtregierung nicht die geringste Lust hat, gegen den CO2-Ausstoß durch den motorisierten Individualverkehr und gegen die Versiegelung durch Straßen und Gebäude vorzugehen – was wiederum die Hitze in der Stadt noch verstärkt.

Die Antworten auf die Klimakrise fallen in Wien also wirklich mau aus. Und das ist das, was mir Sorgen macht, mehr noch als die steigenden Temperaturen selbst. Ich wünsche mir eine mutige Politik in der Stadt, die den Klimawandel als das begreift, was er ist: als ernsthafte, existentielle Bedrohung für das Leben in der Stadt, so wie wir es kennen.  

Wien macht es mir gerade sehr schwer, gerne hier zu leben.


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2 Kommentare

Klaus Wechselberger 8. Juli 2021 - 13:26

Hallo Eva,
herzlichen Dank für deinen ausführlichen Beitrag. Du bringst es auf den Punkt – diese und auch die vorige Stadtregierung trauen sich nichts gegen die Verkehrsproblematik besonders an Hitzetagen zu machen.
Die Initiative Zukunft Stadtbaum (www.zukunft-stadtbaum.at) versucht ebenso eine gravierende Verbesserung für die Stadtbäume zu erreichen, aber auch für eine intelligentere Wiesen- und (Wildblumen)Rasenpflege und Ende von Kurzrasenschnitt steht im Fokus der Bemühungen.
Mit wertschätzenden Grüßen
Klaus Wechselberger
Umweltinitiative Wienerwald
Initiative Zukunft Stadtbaum

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Stadtstreunerin | Eva 21. Juli 2021 - 11:32

Lieber Klaus, danke für deinen ergänzenden Kommentar! Ein besseres Umfeld für Stadtbäume und Rasen, mehr Wiesen und Wildblumen – das klingt sehr, sehr gut! Liebe Grüße, Eva

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