Wem gehört die Stadt wirklich?

von Stadtstreunerin | Eva

„Die Stadt gehört dir.“ – Damit bewerben die Wiener Linien seit Ewigkeiten ihre U-Bahnen, Busse und Bims. Aber ist es wirklich das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs, das uns dieses Gefühl geben kann? Das Eigenleben der Stadt ist komplex, es entfaltet sich zwischen Straßen, Fassaden, Grünflächen – mal laut und ungestüm, mal leise und entrückt. Wie wir dieses Leben wahrnehmen und mitgestalten, hängt nicht nur von uns und der Wartezeit auf die nächste U-Bahn ab – sondern von vielen, vielen weiteren Faktoren. Wer bestimmt überhaupt, wem die Stadt gehört? Diese Frage stand unlängst im Mittelpunkt einer Diskussion im Rahmen des RRRIOT 2019-Festivals – mit folgenden Expertinnen am Podium:

Grundbuch ist nicht alles

Eine erste Antwort darauf können wir natürlich bei einem Blick ins Grundbuch der Stadt finden, sagt Bente Knoll. Aber die Eigentums- und Besitzverhältnisse sind nicht das Einzige, das hier zählt: Der öffentliche Raum spielt eine mindestens genauso große, wenn nicht sogar eine viel größere Rolle. Wer sich den öffentlichen Raum wie aneignen kann, das sagt viel über das Leben in der Stadt aus – und über die Menschen, die in ihr wohnen. Und hier kommen dann tatsächlich auch die öffentlichen Verkehrsmittel ins Spiel – genauer gesagt, die Art und Weise, wie sie die Stadt erfahrbar machen.

Erfahre die Stadt!

Willkommen in der Stadt

Wann fühlen wir uns überhaupt in einer neuen Stadt willkommen? Darauf gibt es wohl so viele Antworten wie Menschen, die hierher ziehen. Elena Smirnova, die selbst von Russland nach Wien gezogen ist, sagt: Unterschwellige Details oder Symbole sind oft für Neuzugezogene schwer zu interpretieren. Und: Manche Stadtviertel fühlen sich besser an als andere, zum Beispiel, weil man dort wegen eines äußerlichen Merkmals nicht ständig angestarrt wird. Es dauert ein paar Monate, manchmal vielleicht aber auch ein halbes Leben, bis sich die Stadtneulinge – die „Wienlinge“ – wirklich zurechtfinden. Die entscheidende Frage lautet hier: Gelingt es, sich insgesamt als Teil der Stadt zu fühlen – und fühlt sich die Stadt irgendwann mal auch als Teil von einem/einer selbst an? 

Was hat das alles zu bedeuten?

Wien ist um Graz gewachsen

Wien wächst und wächst: Die Bevölkerung hat in den letzten Jahren um 300.000 Personen zugenommen – und alle hätten gerne eine helle, geräumige Wohnung in zentraler Lage, bitte. Das wird irgendwann nicht mehr möglich sein: Die Fläche ist knapp, die Bodenversiegelung schreitet voran. Mittlerweile, sagt Waltraud Karner-Kremser, hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass nicht alle, die in Wien wohnen wollen, auch in Wien wohnen können. Die Stadtplanung setzt nicht mehr unerbittlich auf die Expansion von Wohnraum, sondern achtet zunehmend auf Verträglichkeit. Zum Beispiel soll die Stadt halbwegs grün bleiben: Innerhalb von 600 Metern sollen wir von jedem Punkt der Stadt aus öffentlichen Grünraum erreichen können. 

Was nicht grün ist, wird grün gemacht!

Frauen Bauen

Welche Rolle spielen eigentlich Frauen in dem städtischen Gefüge? Das weibliche Aneignen der Stadtfläche war (und ist) ein Kampf um jeden Zentimeter, weiß Eva Kail zu berichten: Zu Beginn der 1990er-Jahre wurden 2/3 der Autofahrten von Männern getätigt, 2/3 der Fußwege dagegen von Frauen. Die Priorität war klar: möglichst breite Straßen! Und jene, die sich dem patriarchalen Gehabe entgegenstellten, ernteten bestenfalls Spott: „Sollen die Gehsteige jetzt rosa angestrichen werden?“ Ja, mit solchen Argumenten konnte man damals noch Politik machen! 

Frauenbild in Wien

Zu rosa Gehsteigen kam es (leider?) nie, ein heikles Thema ist das aber bis heute: Schreibt eine gendersensible Stadtplanung veraltete Rollenmuster fort – oder ist sie in der Lage, darauf einzuwirken? Zum Beispiel übernehmen ja nach wie vor hauptsächlich Frauen Betreuungspflichten, und das schlägt sich etwa in der Gestaltung von Spielplätzen oder Parks nieder. Von Beleuchtung, Barrierefreiheit und Co. profitieren allerdings nicht nur Frauen, sondern – eigentlich all jene, die sich nicht in einem SUV verschanzen können. 

Soll die Stadt Wien deswegen Planerinnen verstärkt fördern? Das könnte schwierig werden, meint Eva Kail, denn nur 10-15% der selbständigen Architekt*innen sind weiblich. Aber: Die Stadt könnte durchaus ethische Kriterien in ihre Ausschreibungen einbauen, schlägt Bente Knoll vor. Viele Architekturbüros bauen auf Ausbeutung und Prekariat, was natürlich familien- und damit auch frauenfeindlich ist. Hier könnte die Stadt leicht ansetzen! 

Geborgen in der Stadt

Heiß, heißer, Stadt!

Wien gewinnt verlässlich jedes Jahr einen internationalen Preis für die hohe Lebensqualität in der Stadt, mittlerweile zum 10. Mal in Folge – aber wo bleibt diese Qualität bei Temperaturen bis zu 40 Grad und einer Tropennacht nach der anderen? Die immer heißer werdenden Sommer sind tatsächlich eine Herausforderung für die Stadtplanung. Ich stelle ans Podium die Frage, warum die Stadt dennoch – auch und gerade in Neubauvierteln – gnadenlos zubetoniert wird. Im Wien meiner Kindheit gab es viel mehr Grün, mehr Gstättn, mehr Freiraum – und wir wissen doch, wie wichtig das für uns ist! Dennoch wird da dem Prater ein Stück abgezwackt und dort wieder ein Innenhof zugepflastert.

Grätzl in Grau

Die ehrlichste Antwort gibt wohl Elena Smirnova: Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, die Grundbesitzer entscheiden über die effektivste Nutzung ihrer Flächen – und die besagt nun mal: Wohnraum über alles, und bitte bloß keine Bäume, die wir über Jahrzehnte pflegen müssen. Bente Knoll gibt noch einen Einblick in die Arbeitsweise im Architekturbüro: Zuerst wird schön geplant, dann wird der Sparstift angesetzt. Und wo lässt es sich am leichtesten sparen? Genau, am Grünraum natürlich.

Ein Grünraum wie damals

Mehr Grün für alle

Aber gute Nachrichten gibt es auch: Das Bewusstsein für eine umwelt- und klimaschonende Lebensweise steigt – auch in der Stadtpolitik. So soll sich beispielsweise ab diesem Frühjahr eine Schafherde um die Wiesen der Donauinsel kümmern, quasi als Bio-Rasenmäher. Und zweitens verändern wir uns auch: Die Zahl der gemeldeten Autos geht seit Jahren zurück, stattdessen erobern Fahrräder und Elektroroller die Stadt. Initiativen wie die Grätzloasen, die Gemeinschaftsgärten oder Garteln ums Eck bringen Grün ins Grau. 

Platane am Praterstern

Und die Antwort?

Auf die Frage, wem die Stadt nun wirklich gehört, gibt es also keine einfache Antwort – wie eigentlich immer, wenn es um eine komplizierte Mischung aus Gefühlen und Gefügen geht. Die Antwort kann, wenn überhaupt, nur individuell sein: Finde ich, dass ich mir die Stadt aneignen kann? Will ich das überhaupt? Und wenn ja, wie kann mir das gelingen? Beton aufreißen und Blumen darauf pflanzen – das wäre dabei wohl mein Ansatz 🙂 

Machen wir die Stadt bunt!

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