Die Welt ist doch nicht stehen geblieben! Die Corona-Pandemie ist zwar nicht vorbei, trotzdem ist wieder einiges in Bewegung geraten. Darunter auch das Stadtentwicklungsgebiet in Wien-Hütteldorf: Auf der ehemaligen Brachfläche zwischen der Westbahn und meinem (früheren) Wohnhaus sind in den letzten zwei Jahren mehrere Gebäude entstanden – ein Kindergarten und eine Schule für über 1.000 Kinder und Jugendliche, außerdem mehrere Wohnbauten mit insgesamt 450 Wohnungen.
Für diesen mittlerweile vierten Teil der beliebten Serie „Das Stadtentwicklungsgebiet vor der Haustüre“ (hier geht’s zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3) habe ich mir das Schul- und Kindergartengebäude – den sogenannten Bildungscampus Deutschordenstraße – im Rahmen einer Führung angeschaut.
Von der Gstättn zur Bildung
Wo bis vor wenigen Jahren noch Pflanzen gewuchert haben, gehen heute Kinder und Jugendliche in den Kindergarten oder in die Schule. Ich bin froh, dass ich diesen Prozess ausführlich dokumentiert habe, sonst wüsste ich schon gar nicht mehr, wie es früher einmal war. So schnell überschreibt sich die Erinnerung!
Das liegt aber nicht nur an mir, sondern auch an dem neuen Gebäude: Die Atmosphäre in dem Bildungscampus ist meilenweit von der früheren Wildnis entfernt. Helle Räume dominieren, alles ist beige und weiß, zwischendurch auch etwas hellgrün. Sogar die offensichtlichen Verbindungen zur Natur wurden nicht betont: Das Gebäude ist in mehrere BIBER eingeteilt, das steht für „Bildungsbereiche“. Ein Biber als Logo hätte sich ja geradezu aufgedrängt, aber für solche Spielereien ist das Schuldesign zu schlicht.
Der Vertreter der Stadt Wien, der uns durch das Gebäude führt, erklärt uns: „Farbe und Buntheit kommen durch die Kinder herein.“ Mag sein. Aber ich denke doch etwas wehmütig an meine eigene Volksschule zurück, die zwar hoffnungslos altmodisch ist, aber dafür nicht aussieht wie aus einem Design-Katalog.
Alles neu!
Hier, am neuesten Bildungsstandort der Stadt Wien, ist alles durchdacht. Die Räume sind mit Fußbodenheizung ausgestattet, die Luft wird regelmäßig automatisch ausgetauscht und auf dem Dach befindet sich eine Photovoltaikanlage. Dadurch ist das Gebäude weitgehend energieautark. (Früher war doch nicht alles besser…) Jede Klasse hat 78 Quadratmeter zur Verfügung, dazu kommen noch 25 Quadratmeter Freizeitfläche. Im Keller besichtigen wir eine der zwei großen Turnhallen, in der es ganz neu riecht. Eine Frau, die auch an der Führung teilnimmt, kommentiert: „Schön ist es schon, aber es stinkt.“
Der vorgegebene Freiraum
Sowohl auf den Terrassen als auch in dem kleinen Garten rund um die Schule gibt es Platz zum Spielen, Toben und Ausruhen. Hier können wir das „Prinzip der bewegten Landschaft“ kennenlernen, von dem im Bauplan die Rede war:
Bäume, Sträucher und Gräser sollen Schatten spenden und Natur erfahrbar machen. Gepflanzt werden unterschiedliche Sträucher- und Baumarten, zum Beispiel Weiden und Schmetterlingssträucher. Die abwechslungsreiche Bepflanzung soll den jeweiligen Bereichen eine besondere Struktur verleihen. So werden aktive, aber auch ruhige Zonen geschaffen.
Auch hier denke ich an meinen Kindergarten und meine Volksschule zurück: Damals, in den 1990er Jahren, sind wir ohne bewegende Prinzipien ausgekommen. Dafür war der Garten um ein Vielfaches größer und bot uns einen echten Freiraum – so wie es sich eben gehört in der Vorstadt, die Hütteldorf immer noch ist.
Wie hinkommen?
Der Bildungscampus hatte von Anfang an einen großen Haken: das Verkehrskonzept. Es gibt keine Parkplätze rund um die Schule, die sechs vorhandenen Stellplätze sind für Transportdienste reserviert. Man möchte keine Anreize schaffen, dass die Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht werden. Selbstverständlich eine gute Idee, aber kann das in der Autostadt Wien auch funktionieren? „Am Anfang wird es turbulent werden, bis sich alle daran gewöhnt haben“, so der Vertreter der Stadt Wien. Eine Schule hört eben nicht am Schultor auf.
Der Bahnhof Hütteldorf ist zwar ganz in der Nähe, aber der kürzeste Weg dorthin ist wenig attraktiv: Gegenüber dem Allianz-Stadion geht es an Wettlokalen, Parkplätzen und Plakatwänden vorbei. Alternativ können sich die Kinder im Hütteldorfer Parkhaus an SUVs vorbeischlängeln, um zur U-Bahn zu gelangen. Ein Weg zum Bahnhof zwischen Parkhaus und Schienen war ursprünglich geplant, ist aber anscheinend nicht durchführbar. Im letzten Moment wurde dann aber doch die Deutschordenstraße umgebaut, sodass es nun ein paar hundert Meter lang einen breiten Rad- und Fußweg gibt. Ob es trotzdem zu dem gefürchteten „Kiss and go“-Verkehr kommen wird, werden wir sehen (und hören und riechen).
NIMBY & andere Kritik
Mein Blick auf das Bildungsgebäude ist schon alleine deswegen ein kritischer, weil meine geliebte „Gstättn“ dem Bau weichen musste. Aber ich reiße mich zusammen, schließlich will ich keine Vertreterin der NIMBYs sein: Das sind Menschen, die städtische Entwicklungen gut finden, solange diese nicht in ihrem Hinterhof passieren (NIMBY ist die Abkürzung von „Not In My BackYard“).
Trotz aller Zusammenreißung ist es aber vor allem die Dimension, die mich stört: Das Gebäude soll bis zu 1.125 Kindergartenkinder und Schüler:innen beherbergen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass so viele Kinder auf vergleichsweise wenigen Quadratmetern gut (!) unterkommen sollen. Wenn wenigstens nebenan ein großzügiger Garten angelegt wäre! Stattdessen befinden sich dort mehrere Wohnbauten, von denen einer ganz nah an den Bildungscampus gebaut ist.
Der Vertreter der Stadt Wien reagiert pampig auf jede Kritik. Ich empfinde das als typisch für den Paternalismus der Stadt Wien: „Wir haben euch ein tolles Gebäude hingestellt, jetzt seid bitte dankbar dafür!“ Er spricht außerdem an, dass das Gebäude so gut wie möglich von der Eisenbahn abgeschirmt ist. „Wir haben die Schule so gebaut, dass die Kinder von der Eisenbahn nichts mitbekommen.“ Warum möchte man das? Ich habe immer gerne auf die Gleise der Westbahn geschaut und die Züge beobachtet.
Was werden die Nachbarn sagen?
Zuletzt noch ein Stimmungsbild, wie die Nachbar*innen und meine Mutter das neue Gebäude am Nachbargrundstück empfinden: „Untertags ist es recht laut, aber abends und am Wochenende haben wir eine Ruhe. Zum Glück haben wir kein Wohnhaus gegenüber.“ – „Ich liebe es. Vor allem abends, wenn dann langsam die Lichter ausgehen, das sieht so schön aus.“ – „Das Gebäude ermöglicht keine Spontanität, alles ist vorgeplant.“ – „Es bringt nichts, sich darüber zu ärgern, also ärgere ich mich nicht darüber.“ – „Manchmal plaudere ich ein bisschen mit den Kindern, das ist nett.“ – „Wir werden uns sicher daran gewöhnen.“
Damit endet dieser vierte Teil meiner kleinen Serie. Wie hat er dir gefallen?
Schreibe es gerne in die Kommentare!
Weiterlesen
Das Stadtentwicklungsgebiet vor der Haustüre, Teil 1: „Meine Kindheit auf der Gstättn“
Das Stadtentwicklungsgebiet vor der Haustüre, Teil 2: “Von der Lagerhalle zur Pyramide”
Das Stadtentwicklungsgebiet vor der Haustüre, Teil 3:“Ein Baufeld wird frei”
Auf Twitter dokumentiere ich die Entwicklungen seit 6. Dezember 2019 in diesem Thread.
Der Journalist Erich Kocina und der Fotograf Daniel Novotny haben mich und meine Gstättn in der Presse porträtiert: “Das langsame Verschwinden der Wiener Gstättn” (25. Mai 2020)
1 Kommentare
Danke, auch von mir volle Zustimmung, die Aussage des Stadtvertreters („Wir haben die Schule so gebaut, dass die Kinder von der Eisenbahn nichts mitbekommen.”) in Frage zu stellen. Züge sind heutzutage so leise wie noch nie und dieses Abschotten von nötigen Strukturen ist stark hinterfragenswert. Ich war immer froh, wenn ich aus dem Klassenzimmer oder dem Hörsaal auf ein bisschen urbanes Gewusel oder bewegte Infrastruktur schauen konnte und nicht nur eine Wand, Mauer oder Hecke zu sehen war. Züge gehören zur Stadt dazu – sie vorbeifahren zu sehen, wenn man aus dem Fenster oder von der Terrasse schaut, ist weniger ablenkend, als viel mehr bereichernd und gedankenanregend.