Nationalpark Kalkalpen: Die wilde Mitte Österreichs

von Stadtstreunerin | Eva

An einem trüben Septembertag fahre ich mit der U-Bahn in die Arbeit und starre ins Leere, als mich plötzlich eine Idee überfällt: Ich möchte in allen sechs österreichischen Nationalparks wandern gehen. Ein echtes Wander-, Natur- und Grenzerfahrungsprojekt – das Nationalparkprojekt! Gedacht, geplant und umgesetzt: Den Auftakt machen zwei Wandertage im Nationalpark Kalkalpen, der mittendrin in Österreich liegt und völliges Neuland für mich darstellt. Dem Namen nach erwarte ich mir steile, felsige Berge, aber weit gefehlt: Der Nationalpark bietet vor allem urwaldartigen Wald. 

Die Planung übernimmt Helmut, der die Gegend besser kennt als ich. Er heckt etwas durchaus Anspruchsvolles aus: eine Nord-Süd-Durchquerung des Nationalparks von Reichraming bis Windischgarsten mit Übernachtung auf der Ebenforstalm. 

Der Nationalpark Kalkalpen

  • Größe: 20.856 Hektar
  • Gründung: 1997
  • Bundesland: Oberösterreich
  • Besonderheiten: einzige Luchs-Population Österreichs, mehr als 1.500 Schmetterlingsarten, Österreichs größte zusammenhängende Waldwildnis, eine über 500 Jahre alte Buche
  • Mehr Informationen: https://www.kalkalpen.at/de

Noch Sommer…

…oder schon Herbst?

Ohne Waldbahn in den Wald

Unsere Expedition beginnt früh an einem Septembermorgen am Wiener Hauptbahnhof. Um 6:55 fährt unser Zug los, zweieinhalb Stunden später erreichen wir das idyllisch gelegene Reichraming. Der lange Wandertag kann beginnen! Wir wollen durch das Reichraminger Hintergebirge bis zur Ebenforstalm aufsteigen, das bedeutet etwa 750 Höhenmeter auf 19 Kilometer. 

Als wir am Bahnhof aussteigen, fährt gerade ein Güterzug durch – vollbeladen mit Erz vom nahen Erzberg. Thematisch passend geht es weiter: Die ersten Kilometer legen wir teilweise auf der Trasse der ehemaligen Waldbahn von Reichraming zurück. Die Waldbahn wurde vor über 50 Jahren stillgelegt, heute verläuft hier ein schöner Radweg. Ein Themenweg und eine liebevoll restaurierte Lokomotive erinnern heute noch an die ehemalige Lebensader dieser abgelegenen Region.

Die ehemalige Lok der Waldbahn

Immer der Lok nach!

Abkühlung folgt

Wir wandern lange den Reichraminger Bach entlang, der später zum Großen Bach wird, es geht also durch ein Tal. Die Höhenmeter lassen auf sich warten, trotzdem kommen wir ins Schwitzen, weil die Luftfeuchtigkeit so hoch ist. Mir ist heiß, dann wieder kalt, ich fühle mich ganz unwohl. Ein kurzes Bad in den klaren grünen Fluten macht aber alles wieder gut. Es geht eben nichts über kaltes Wasser! Sogar Helmut lässt sich überreden, die Kaltwasserkur auszuprobieren. 

Passend gekleidet: Helmut am Großen Bach

Es herbstelt ordentlich

Wald und noch mehr Wald

Bis hierher erinnert mich der Wald mit seinen vielen Buchen sehr an den Wienerwald, der fast direkt hinter meiner Wiener Wohnung beginnt. Ich frage mich, wozu ich so früh aufgestanden bin…

Doch je tiefer wir in den Wald eintauchen, desto mehr wird klar, dass wir hier in einem ganz besonderen Wald sind. Überall liegen umgefallene Stämme und abgebrochene Äste, über die wir manchmal auch klettern müssen. Der Name „Totholz“ ist irreführend: Es macht den Wald erst so richtig lebendig. Pilze und Schwammerl wuchern nur so, auch viele Insekten leben hier, zum Beispiel der selten gewordene blaue Alpenbock-Käfer. Der ebenfalls seltene Weißrückenspecht freut sich über das viele Futter, das ihm dadurch zur Verfügung steht. Der Kreislauf der Natur!

Lebendiges Totholz

Pilze ohne Ende

Insektenheimat

Der Buchensteig führt uns durch steiles Gelände, das je nach Sonneneinfall ganz lichtdurchflutet oder richtig düster wirkt. Ein Gelände, wie gemacht für Artenvielfalt: Hier finden auf kleinem Raum sowohl sonnen- als auch schattenliebende Tiere und Pflanzen ein Zuhause. Und wer weiß, vielleicht schleicht gerade ganz in der Nähe ein Luchs herum… Zu sehen ist der scheue Waldbewohner, der in Österreich nur hier beheimatet ist, aber natürlich nicht – da gehört schon eine sehr große Portion Glück dazu.

Der steile Buchensteig

Ist da ein Luchs um die Ecke?

Überall plätschert es

Haselnussschatten

Hinauf auf die Alm

Immer höher steigen wir durch den dichten Buchenwald, den wir ganz für uns alleine haben. Nur das Gluckern der Bäche und das Rauschen kleiner Wasserfälle begleiten uns. Der Weg zieht sich ein bisschen, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. 

Noch immer beschäftigt mich die Frage, wo denn die Kalkalpen nun sind. Felsige Berge sind jedenfalls weit und breit keine zu sehen! Als wir endlich am frühen Abend die Ebenforstalm auf etwa 1100 Meter Seehöhe erreichen, klärt mich eine Info-Tafel auf: Der ganze Boden ist kalkhaltig. Dadurch kommt es auch zu eigenartigen Phänomenen: Auf der Alm verschwindet ein ganzer Bach in einem Karstloch und niemand weiß genau, wo der Bach wieder hervortritt.

Noch etwas Besonderes hat die Almwiese zu bieten: ein Moor. Moore sind sehr sensible Lebensräume, die heute wertvoller sind denn je – sie nehmen sehr viel CO2 auf. Auf dem sauren und nährstoffarmen Boden überleben nur wenige Spezialisten. Wir überschreiten das Moor auf einer hölzernen Brücke und dann sind wir auch schon bei der Hütte angekommen.

Glücklich im Wald

Durch das Moor

Abendstimmung auf der Alm

Übernachten auf der Alm

Die Wirtin auf der Ebenforstalm staunt nicht schlecht, als sie von unserer Wanderung hört. Die meisten Besucher:innen fahren mit dem Auto zu einem der zahlreichen Parkplätze am Rande des Nationalparks, wodurch der Weg deutlich kürzer wird. Als Zeichen der Anerkennung müssen wir nicht im Lager schlafen, sondern erhalten ein Zimmer nur für uns. Außerhalb meiner Komfortzone bin ich hier trotzdem: Im Regen über den Hof zur Toilette zu gehen, begleitet vom Gegrunze der Schweine, das bin ich nicht gewohnt! Das Abendessen (Semmelknödel mit Eierschwammerl) schmeckt aber vielleicht gerade deswegen viel besser als zuhause. 

Ein Regenbogen auf der Alm

Im Regen wandern

Am nächsten Morgen geht es weiter. Windischgarsten heißt unser Ziel und das liegt ganz schön weit weg, vor uns liegen wieder 19 Kilometer. Ich bin wenig motiviert: Es regnet, ich habe Regelschmerzen, jeder Schritt ist anstrengend. Aufmunterung kommt von den zahlreichen Feuersalamandern, die unseren Weg queren, und von der schönen, fast unberührten Natur. Trotz der dichten Wolken sind die Silhouetten der Berge zu erahnen, die ich mir unter dem Namen „Kalkalpen“ vorgestellt habe. Wir steigen durch den Bodinggraben hinab zum Gasthaus Jagahäusl, wo wir uns ein bisschen aufwärmen können.

Hallo Feuersalamander!

Im Bodinggraben

„Die Natur braucht’s“

Nicht viel zu sehen

Alles fließt

Danach geht es noch viele, viele Kilometer weiter. Das Wasser kommt von allen Seiten: Der Weg führt uns an Flüssen entlang, an kleinen Wasserfällen vorbei, über Bäche hinüber und dabei regnet es ohne Unterlass. Auch wir kommen in einen Flow. Noch zehn Kilometer bis Windischgarsten? Easy!

Nur ein einziger Wanderer begegnet uns, als wir gerade bei dem Biwakplatz Steyrsteg eine Pause einlegen. Er grüßt uns höflich und wir bewundern verstohlen seine deutlich bessere Regenausrüstung. 

So nass aber auch!

Wandern mit Regenschirm

Noch mehr Wasser

Zurück in die Zivilisation

Am frühen Nachmittag erreichen wir die Ausläufer der Zivilisation. Sie machen sich nach und nach bemerkbar: erst eine Hütte, dann ein Haus, dann eine befestigte Straße. Schließlich kommen wir an einer Herde Kühe vorbei und sehen Windischgarsten von oben. Bis wir zum Bahnhof gelangen, dauert es trotzdem noch eine ganze Weile. Zu meinem großen Bedauern ist die Sommerrodelbahn am Wurbauerkogel nicht mehr in Betrieb – ein Hangrutsch hat sie weggerissen. Das wäre eine schöne Belohnung gewesen und hätte uns etliche Höhenmeter erspart. (Von Höhenmetern habe ich langsam genug!)

Almwiese Rumplmayrreith

Muh!

Dafür punktet der Bahnhof in Windischgarsten mit einer Modelleisenbahn im Warteraum, die blinkt und fährt, wenn man auf einen Knopf drückt. So vergeht die Zeit sehr schnell, bis der Zug um 17:30 kommt. Es ist warm und trocken im Zug, eine Mitarbeiterin bringt uns einen Becher Kaffee zum Platz, die Landschaft zieht an uns vorüber und wir freuen uns auf das Sofa daheim. Was gibt es Schöneres?

Bis zum nächsten Wanderwochenende! 

Am Bahnhof Windischgarsten


Weiterlesen

Waldbahn Reichraming: https://de.wikipedia.org/wiki/Waldbahn_Reichraming

Ebenforstalm: https://wildniswandern.kalkalpen.at/de/huette/ebenforstalm/10122756/ 

Helmuts Planungs-Tool: https://de.mapy.cz/ 

Bericht einer anderen Bloggerin über eine ähnliche Wanderung: https://www.bahn-zum-berg.at/ooe-voralpen/durchquerung-des-reichraminger-hintergebirges/

Informationen zu den Nationalparks in Österreich: https://www.nationalparksaustria.at/de/

Alle Fotos, auf denen ich zu sehen bin, und das Salamander-Foto © Helmut


Warst du schon einmal im Nationalpark Kalkalpen wandern? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Schreibe es gerne in die Kommentare! 

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