Weihnachtsausflug nach Pápa, Ungarn

von Stadtstreunerin | Eva

Jedes Jahr am 26. Dezember wird es Zeit für eine ganz besondere Weihnachtstradition: Mein Vater und ich unternehmen alljährlich am Stephanitag einen Tagesausflug ins benachbarte Ausland – mit dem Zug natürlich. In der Vergangenheit reichte die Bandbreite unserer Ausflüge vom bescheidenen Kurstädtchen in der Slowakei (Piešťany, 2012) bis hin zum Inbegriff aller Stadtwunder (Venedig, 2004).

Heuer war wieder ein vergleichsweise unspektakuläres Ziel an der Reihe: die kleine Barockstadt Pápa in Ungarn, irgendwo im Dreieck von Budapest, Balaton/Plattensee und Grenze zu Österreich gelegen. Eine völlig unbekannte Stadt mit fragwürdigem Namen (Pápa?) und ein nicht allzu kalter Tag waren schon mal gute Voraussetzungen für einen gelungenen Weihnachtsausflug.

Um 8:30 fuhr der Zug vom Hauptbahnhof Wien in Richtung Belgrad los. Aber schon in Győr mussten wir umsteigen; ab da schaukelte uns ein Lokalzug durch die ungarische Weite. Die dunkelblauen Föhnwolken ergaben mit dem gedämpften Grün der Felder und den kahlen Bäumen eine ganz eigene Stimmung, wie es sie nur im Winter geben kann.

Endlich kamen wir in Pápa an! Es stellte sich heraus, dass Pápa als Papå ausgesprochen wird und sogar einen eigenen deutschen Namen hat: Poppa. Mehr zufällig stießen wir gleich auf die erste Sehenswürdigkeit: eine Kirche samt Kalvarienberg und Friedhof. Auf den Grabsteinen fanden wir zwischen den ungarischen Abschiedsformeln auch viele deutsche Familiennamen. Am Kreuzweg spielten sich derweil dramatische Szenen ab:

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Ans Kreuz!

Das anschließende Villenviertel war um einiges beschaulicher. Nur ein freundlicher Hund grüßte uns, ansonsten war alles ganz ruhig und prunkte vor sich hin.

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Prunk in der Bahnhofsallee

Die Stadt ist ungewöhnlich strukturiert: Geht man vom Bahnhof immer geradeaus, erreicht man den Schlosspark und das berühmte Schloss Esterházy – allerdings nur die Hinterseite. Geht man einmal drumherum, sieht man das Schloss zwar von vorne – aber die mächtige Stephanskirche von hinten. Immerhin: Wenn man um die Stephanskirche herumgeht, steht man im Zentrum der Altstadt und nicht dahinter.

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Schloss Esterházy

Über der Stadt lag ein Geruch, als hätte jemand Stroh verheizt oder die Reste des Herbstlaubs im Schlosspark angezunden. Der leichte Nebel und die riesigen Plantanen – die größte hatte einen Umfang von über zehn Metern! – sorgten zusätzlich für eine eigenartige Stimmung. In der Altstadt hingegen war alles so, wie man sich eine ungarische Kleinstadt Ende Dezember vorstellt: Die Straßen fast menschenleer, die Museen und Kirchen geschlossen. Leider! Das städtische Blaufärbermuseum wäre sicherlich interessant gewesen. Die tiefblau gefärbten Stoffe mit ihren weißen Mustern sind ja irgendwie faszinierend.

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Das Blaufärbermuseum

Pápa ist bekannt für seine zahlreichen Kirchen. Wir schafften es gar nicht, unsere Spazierroute so anzulegen, dass wir an allen vorbeikamen. Stattdessen fanden wir verschiedene Denkmäler und Gedenkkränze, die wir mangels Sprachkenntnissen nicht allzu gut deuten konnten. Leichter ist das bei Eigennamen: So fanden wir auf einem Haus eine Tafel mit der Aufschrift Sándor Petőfi, aus der wir schließen konnten, dass der große Dichter einst hier gelebt hat.

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Gedenken

In den kleinen Seitengassen des historischen Zentrums ging die Stadt fast übergangslos in ein Dorf über: Haus duckte sich an Haus, und die Fenster zeigten sich verschlafen.

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Stadt & Dorf zugleich

Gelegentlich fanden sich hinter den Fenstern auch Lebenszeichen wie Äpfel oder Lichterbögen, viel öfter aber Decken und Pölster, die wohl die schlechte Isolierung kaschieren sollten.

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Ungarische Weihnachten

Ein spannender, aber tragischer Fund war die neoklassizistische Synagoge von Pápa: Völlig heruntergekommen, die Eingänge teils vermauert, teils verbarrikadiert, lieferte sie uns ein Bild des Niedergangs. Wären nicht die hölzernen Davidsterne an den Türen gewesen, wir hätten keinerlei Hinweis auf den religiösen Hintergrund des Bauwerks gehabt. 

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Die Synagoge von Pápa

Vor der zugemauerten Wand, die vielleicht mal der Haupteingang war, wuchs ein stattlicher Baum. Immerhin konnten wir an einer Seitentür einen Hinweis finden, dass die Synagoge offenbar doch noch gelegentlich verwendet wird: Ein buntes Plakat bewarb das Hanukkahfest in der Synagoge.

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Lebendig?

Hinter der Synagoge fanden wir einen kleinen Platz mit einem ausrangierten Sofa und allerhand Müll. Hier war das Gebäude noch trauriger anzusehen: Ein Holzverschlag ersetzte die zentrale Rosette, und Tauben kreisten gurrend um das löchrige Dach.

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Taubenheim

Etwas weiter fanden wir allerdings ein frisch renoviertes Häuschen mit einer Aufschrift in hebräischen Buchstaben. Wir hofften das Beste für die jüdische Gemeinde von Pápa und zogen weiter, um einen denkbar krassen Kontrast zu finden: ein Kaufhaus im klassischen kommunistischen Stil mit einem der zahlreichen chinesischen Geschäfte der Stadt. Genau gegenüber fanden wir das einzige geöffnete Restaurant von ganz Pápa. Was für ein Glück! Drinnen speisten Familien im Festtagsgewand, an den Wänden hingen bunte Aquarellbildchen mit Ansichten der Stadt.

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Kontraste

Danach wurde es Zeit, zum Bahnhof zurückzuschlendern. Auf dem Weg dorthin schauten wir einigen Kindern zu, die sich am Eislaufplatz vor der Stephanskirche austobten. Außerdem wagten wir einen Blick in das frisch renovierte Esterházy-Schloss und fanden hinter dem Schloss eine Freiluftbühne mit ziemlich ungemütlich aussehenden Parkbänken. Interessant war auch das ehemalige Strandbad (Strandfürdö auf Ungarisch) – ein desolates, aber immer noch ansehnliches Gebäude.

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Ein Strandbad!

Zu gerne wäre ich in das Gebäude eingestiegen und hätte den urbanen Verfall dokumentiert. Da das aber aus mehreren Gründen nicht sehr vernünftig erschien, hielt ich nur mein Handy durch die zerbrochenen Fensterscheiben und fand auf meinem Display ein Bild der Verwüstung.

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Doch kein Strandbad 🙁

Im Garten sah man das alte Schwimmbecken, in dem ein paar schwarze Reifen lagen; rundherum griff die Wildnis um sich. Das ehemals lebhafte Treiben auf der Sonnenterrasse hat seine Fortsetzung mittlerweile in einem modernen Thermalbad gefunden.

Dann war es auch schon Zeit für die Rückfahrt. Vom Zug aus konnten wir noch ein paar Rehe und Fasane erspähen, ehe die Sonne in der Ebene versank. Die flache Landschaft erlaubte uns lange, die vielen Farbabstufungen des Sonnenuntergangs zu beobachten, bis schließlich alles in tiefes Dunkel gehüllt war.

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Sonnenuntergang vom Zug aus

Nach einem weiteren Zwischenstopp in Győr dauerte es nicht mehr lange und wir waren wieder zurück am Wiener Hauptbahnhof. Alles in allem ein empfehlenswerter Ausflug ins Nachbarland! Wie bei all unseren Weihnachtsausflügen gilt aber auch für Pápa: Eine andere Jahreszeit ist für einen Besuch wohl besser geeignet…


Literaturquelle

Die Informationen über Pápa stammen von hier

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