Ein Nachmittag in der Slowakei: der Thebener Kogel

von Stadtstreunerin | Eva

Wer von Wien aus in die Weite schaut, erkennt im Osten einige markante Hügel in der ansonsten flachen pannonischen Ebene. Einer davon ist eine ehemalige Sperrzone: Noch zu der Zeit, als ich auf die Welt gekommen bin, konnte man den Thebener Kogel von Österreich aus nur sehen, nicht aber betreten. Er liegt in der Slowakei an der Grenze zu  Österreich, am Zusammenfluss von March und Donau, und war damit jahrzehntelang ein streng bewachter Außenposten des Ostblocks. Sogar ein Flugabwehrraketenstützpunkt war auf dem Berg untergebracht. Glücklicherweise haben sich die Zeiten seit den späten 1980er Jahren geändert: Heute ist der Thebener Kogel nicht nur in Sicht-, sondern auch in Greifweite. 

Mit dem Zug in die Slowakei

Eine Wanderung auf den Thebener Kogel lässt sich von Wien aus sogar besonders gemütlich angehen. Helmut, David und ich nehmen an einem Sonntag im August erst den Nachmittagszug um 14:42 von Wien nach Bratislava (Pressburg). Wir steigen nach etwa einer Stunde Zugfahrt im Vorortbahnhof Bratislava Nové Mesto aus, fahren mit der Straßenbahn quer durch die Stadt und dann noch mit einem Bus weiter, bis wir in dem Dorf Devín (Theben) am Fuße des Hügels angelangt sind. 

Es gibt auch einen Speisewagen 🙂

Straßenbahnfahrt durch Bratislava

Ein Sukkulentengleis!

Ausblick auf eine Schlange

Kleine Karpaten – gar nicht klein

Schon die ersten paar Schritte auf den Thebener Kogel – Devínska Kobyla auf Slowakisch – sind anstrengend. Zwar ist der Berg mit seinen 514 Metern wirklich nur ein Hügel, aber wir müssen trotzdem über 300 Höhenmeter überwinden. So klein sind die Kleinen Karpaten, zu denen der Thebener Kogel gehört, eben doch nicht! Die Luft ist tropisch feucht, der Himmel überzogen mit bleiernen Wolken. Noch dazu bringt der Wald auf dem Kalkboden einige ausgewachsene Monster hervor, deren Überwindung zusätzliche Kraft kostet. 

Die Kirche bleibt im Dorf

Aussicht auf die Burgruine in Devín

Hilfe!

Der Herbst zieht ein

Ein poetisch gestimmter Berg

Die letzten Meter führen durch einen steilen Hang, der von Steinen übersät und mit Eichen bewachsen ist. Ich erwarte, jeden Moment auf eine Wildschweinherde zu stoßen, aber wir hören weder ein Rascheln noch ein Grunzen. Im Gegenteil: Es ist gespenstisch still.

Als Belohnung für den schweißtreibenden Aufstieg erwartet uns ein slowakisches Gedicht, das der Berg höchstpersönlich verfasst hat – glaubt man der Signatur:

Odpočiň si v mojom tieni, prejdi sa po mojom chrbte
a vypočuj si moju pieseň, symfóniu šumu vetra
v korunách stromov, spevu vtákov, zimného ticha,
ktorá hovorí o večnom kolobehu života.
Bola som tu pre Tvojich predkov, som tu pre Teba
a budem tu pre Tvojich potomkov, to Ti sl’ubujem.

Tvoja Kobyla

Mit vereinten Kräften – sprich, unseren Russisch- und Slowenisch-Kenntnissen und Google Translate – versuchen wir uns an einer Übersetzung des Hügelgedichts:

Ruhe dich in meinem Schatten aus, gehe auf meinem Rücken spazieren
und lausche meinem Lied, einer Symphonie aus Windgeflüster
in den Baumkronen, aus Vogelgezwitscher und winterlicher Stille,
die vom ewigen Kreislauf des Lebens erzählt.
Ich war für deine Vorfahren da, ich bin für dich da
und ich werde für deine Nachkommen da sein, das verspreche ich dir.

Dein Kogel

Der Thebener Kogel hat dichterisches Talent! Damit steht er derzeit alleine da, aber wer weiß, was die benachbarten Hügel – der Braunsberg und der Hundsheimer Berg – den Wanderfreund:innen versprechen…

Aus dem Land schauen

Ein paar Minuten weiter kommen wir zu einer tollen Aussichtswarte. Sie steht erst seit zwei Jahren auf dem Berg, kann also als ganz neues Exemplar der Aussichtswarten-Architektur gelten. Ihre Form soll an eine Gottesanbeterin erinnern – diese Assoziation habe ich aber nicht, ich denke hauptsächlich an meine Höhenangst, während ich die vergitterten Treppen hinaufsteige. Es lohnt sich: Von der Plattform in 21 Meter Höhe sehen wir weit ins Land hinein und weit aus dem Land hinaus (und weit auf den Boden hinunter, brr). 

An Tagen mit besserem Wetter sieht man bestimmt bis zum Schneeberg. In der diesigen Stimmung bleibt uns aber immerhin der Blick auf die schön geschwungene Donau und – ganz und gar nicht poetisch – auf die riesige Autofabrik nördlich des Thebener Kogels.

Wow, Warte!

Der Sender ist aber doch deutlich größer

Blick auf Bratislava

Die trockenen Tropen

Obwohl es an diesem Tag unfassbar schwül und feucht ist (Regen kommt allerdings keiner), gilt der Thebener Kogel als Trockengebiet. Auf den Wiesen und im Wald tummeln sich Tiere, die die Trockenheit lieben: Smaragdeidechsen, Wiedehopfe, Gottesanbeterinnen, Bienenfresser. Ganz schön exotische Namen  – also doch fast wie in den Tropen! 

Von der speziellen Flora und Fauna des Thebener Kogels bekommen wir nur wenig mit. Das Licht ist fahl, die Vögel ruhen, die wilden Orchideen sind längst verblüht. Doch plötzlich entdeckt David eine Gottesanbeterin auf seinem Rucksack, die sich ihrerseits von uns anbeten (und fotografieren) lässt. 

Oh, du schöne Gottesanbeterin…

Abstieg über den Sandberg

Am weiteren Weg hinunter nach Devínska Nová Ves – dem nordwestlichsten Stadtteil von Bratislava – kommen wir noch an einer Geländestruktur namens Sandberg vorbei, der auch auf Slowakisch so heißt. In den sandigen Klippen fühlen sich nicht nur heute verschiedene Tierarten wohl, auch Fossilien aus längst vergangenen Zeiten wurden hier gefunden. Wir sehen allerdings nicht mehr viel davon – die Dämmerung kehrt ein und wir beeilen uns, um rechtzeitig zum Bahnhof zu kommen.

Der letzte Abschnitt unserer Wanderung führt durch eine Dorfstraße. Die vielen Plattenbauten, die wir von oben gesehen haben, verschwinden hinter gepflegten Häusern und Gärten. Hunde bellen, Katzen laufen vor uns davon. Käme ich aus der anderen Richtung, würde ich niemals vermuten, dass gleich am Ende der Gasse ein so ungewöhnlicher, besonderer Berg wie der Thebener Kogel beginnt. Wir kommen sicher wieder!

Dovidenia Slovensko, bis bald!

Devínska Nová Ves von oben

…und zurück mit dem Zug!

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