Weiße Stadt im Wintergrau: Alba Iulia in Rumänien

von Stadtstreunerin | Eva

Alba Iulia? Noch nie gehört. Als mich Helmut, ein Bekannter, den ich hauptsächlich von Twitter kannte und gerade erst einmal getroffen hatte, im Oktober fragte, ob ich mit ihm und seiner kleinen Reisegruppe im Winter nach Alba Iulia fahren wolle, sagte ich sofort zu. Ich würde schon noch herausfinden, wo dieses Alba Iulia liegt, dachte ich mir. Wozu gibt es Google Maps? Aber das stellte sich als gar nicht so einfach heraus: Alba Iulia heißt auf Google Maps nämlich Karlsburg, auf Wikipedia ebenfalls Karlsburg oder auch Weißenburg (neben Alba Iulia). Ganz schön verwirrend!

Schließlich fand ich heraus, dass Alba Iulia in Rumänien liegt, genauer gesagt, im westlichen Teil Zentralrumäniens (oder im östlichen Teil Westrumäniens?). Flankiert von flachen, langgestreckten Hügeln, ist die Kleinstadt wunderschön herausgeputzt und mit ihrer gewaltigen Festung mehr als sehenswert, selbst im winterlichen Grau.

Auf nach Alba Iulia!

Happy new Fahrplan!

Aber ich fange besser von vorne an, und Anfang ist hier ein gutes Stichwort: Jedes Jahr Mitte Dezember kommt ein neuer Fahrplan heraus, bei dem es alljährlich die eine oder andere Neuerung gibt (auch bekannt als „Fahrplansilvester“). Für den ÖBB-Mitarbeiter Helmut und seine ebenso zugbegeisterten Freund*innen ein willkommener Anlass, eine dieser neuen Verbindungen auszuprobieren. Nachdem es seit dem 12. Dezember einen Nachtzug nach Cluj-Napoca gibt, fiel die Entscheidung diesmal auf einen Kurztrip nach Rumänien: drei Nächte, zwei davon im Schlafwagen.

Frohes neues Fahrplanjahr! (Foto © Helmut)

Mit David und Kathrin, die ich ebenfalls von Twitter kannte, war unsere kleine Reisegruppe komplett. Vielleicht sollte ich hier noch kurz erwähnen, warum ich sofort Vertrauen in meine neuen Gefährten hatte: Zugfahren verbindet, und die geteilte Begeisterung fürs Zugfahren verbindet doppelt! Am Abend des 12. Dezember stiegen wir also am Wiener Hauptbahnhof in den Schlafwagen der rumänischen Zuggesellschaft CFR Călători und los ging die lange, schaukelnde und quietschende Reise. 

Unterwegs mit David, Kathrin und Helmut

Kahle Hügel und viele Vögel

Am nächsten Morgen stiegen wir in Cluj-Napoca um und fuhren noch weitere zwei Stunden bis Teiuș weiter – nicht ohne vorher in einer Bäckerei beim Bahnhof einen Kaffee getrunken zu haben. Eine gute Idee, die braune Landschaft unter dem dunkelgrauen Himmel entfaltete im Lauf der Zeit eine gewisse einschläfernde Wirkung. Ich war fasziniert, wie viele Vögel in den Hecken aufflatterten, als unser Regionalzug vorbeiratterte. Gelegentlich sahen wir eine große Herde Schafe, dann führte uns die Strecke längere Zeit durch grasbewachsene, durch und durch braune Hügel.

Braun und grau

Bahnhofstiere mit Maske

Am meisten war ich davon angetan, dass hier nicht alle hundert Meter eine Fabrik mit riesigen Lagerhallen, ein Einkaufzentrum mit hunderten Parkplätzen oder eine zufällig wirkende Ansammlung von Einfamilienhäusern zu sehen war. Eine fast unverbaute Landschaft – dass es so etwas noch gibt!

Aber bevor mir Tränen der Rührung in die Augen stiegen, kamen wir schon in Teiuș an, wo nicht zu übersehen war, dass der geringe Grad an Industrialisierung auch einen deutlich niedrigeren Lebensstandard als in Österreich mit sich bringt. Während ich die verfallende Lagerhalle neben dem Bahnhof inspizierte (und dabei an die alte Lagerhalle neben meinem Wohnhaus denken musste), bellten in der Ferne die Hunde; am Bahnhofsvorplatz mussten wir unser Gepäck über beachtliche Schlaglöcher hieven. Nachdem wir nicht eineinhalb Stunden auf den nächsten Zug nach Alba Iulia warten wollten, brachte uns ein Taxi dorthin.

Unser Zug von Cluj nach Teiuș

Nicht unser Zug 😉

Die alte Lagerhalle

Ein Blick hinein

Alba Iulia im Winter

Nach etwa 17 Stunden Reisezeit hatten wir unser Ziel erreicht: Alba Iulia, die Stadt, die das Helle, Weiße im Namen trägt, war an diesem Tag von dunklem Grau bedeckt, ein kalter Wind fegte durch die Straßen. Die Innenstadt, die vor allem aus der Festung besteht, war fast menschenleer. Dafür leisteten uns drei Straßenhunde Gesellschaft, die zwar etwas abgewetzt daherkamen, aber ganz freundlich waren. 

Das Zusammenspiel aus moderner und historischer Architektur ist beim Eingang der Festung beeindruckend: Eine Sichtachse verbindet das orthodoxe Kloster mit einem hoch aufragenden Denkmal, erbaut erst im Jahr 2018, und den großen Wohnblocks aus sozialistischer Zeit (das Kaiserebersdorf von Alba Iulia, wie wir scherzend feststellen).

Das Festungsareal mit zwei Kirchen

Von einer Kirche zur nächsten

Spannende Sichtachsen

Mit Flagge und Baum!

Löwenkopf, etwas abgeschlagen

Ein Wandbild für Alba Iulia

Freundlicher Riesenpinguin

Als nach und nach die Dämmerung einkehrte, wurde die Festung in verschiedenen Farben beleuchtet. Auf dem verwaisten Weihnachtsmarkt unter den steil aufragenden Mauern fanden wir sogar einen kleinen Zug, der auf Schienen noch kleinere Runden fuhr. Aber so weit geht die Begeisterung fürs Zugfahren dann doch nicht, als dass wir uns da hineingequetscht hätten!

Grauer Himmel, bunter Abend

Noch eine Kirche!

Das Denkmal von unten

Im neueren Teil der Innenstadt, hinter den mächtigen Wohnblocks, ging es deutlich lebendiger zu. Hier, zwischen einem elegant geschwungenen Radweg und erleuchteten Schneesternen, liefen Kinder um die Wette und Erwachsene holten sich zur Stärkung einen „dönerul“ (Döner) oder eine „vată de zahăr“ (Zuckerwatte). Rumänisch lernen leicht gemacht! 

România und die Sprachen

Apropos Rumänisch lernen: Alba Iulia hat nicht nur einen deutschen Namen – Karlsburg oder Weißenburg -, sondern auch einen ungarischen: Gyulafehérvár („fehér“ heißt „weiß“ auf Ungarisch). Von dieser historischen deutsch-ungarisch-rumänischen Mehrsprachigkeit ist heute aber so gut wie nichts mehr zu bemerken.

Dafür ist das Rumänische gar nicht so schwer zu verstehen: Die romanische Sprache weist viele Einflüsse aus den slawischen und anderen südosteuropäischen Sprachen auf, was sich nicht nur im Wortschatz, sondern auch in der Grammatik niederschlägt (Stichwort Balkansprachbund). Vieles war für mich intuitiv verständlich. (Endlich haben sich die sechs Jahre Latein gelohnt!)

Aber auch das Wienerische trägt gelegentlich seinen Teil dazu bei, das Rumänische verständlich zu machen: Das Bestattungsunternehmen in Alba Iulia heißt „pompe funebre“; im Wienerischen heißt der Bestatter Pompfünebrer. Wobei sich dieser Ausdruck nicht vom Rumänischen, sondern vom Französischen ableitet… ja, es ist kompliziert 🙂

Kerzen für die Lebenden und die Toten

„Wir wünschen Ihnen eine angenehme Reise!“

Mehrsprachigkeit am Bahnhof

Durch die Karpaten nach Filiași

Nach einem ausgezeichneten Abendessen und einer ruhigen Nacht im Hotelbett brachen wir am nächsten Tag früh auf, um zum Bahnhof von Alba Iulia zu marschieren – noch einmal quer durch die Festungsanlage, die genauso menschenleer wie am Abend davor war. Wir hatten viele, viele Kilometer vor uns: Der Zug brachte uns in etwa sechs Stunden in den Süden Rumäniens, nach Filiași, wo wir in den Nachtzug nach Wien einsteigen würden.

Der Bahnhof von Alba Iulia

Kurze Pause in Simeria

Moderner Bahnhof in Târgu Jiu

Die Fahrt dorthin war über weite Strecken spektakulär: Wir passierten die transsilvanischen Alpen, besser bekannt als Karpaten, und konnten eine Zeit lang die Landschaft bei Sonnenlicht bewundern. Der schöne Buchenwald erinnerte mich an den Wienerwald, und mittendrin kam uns ein Güterzug mit einer ÖBB-Lok entgegen (der Lokführer hat mir sogar zugewunken).

Und doch war hier alles anders als zuhause: Ausgedehnte Streuobstwiesen, hoch aufgetürmte Heu-Figuren und schöne Holzhäuschen säumten die Strecke. Aber auch hier war nicht zu übersehen, dass viele Menschen mit sehr wenig auskommen müssen. Viele Gebäude wirkten abbruchreif oder waren bereits Ruinen; bei Petroșani passierten wir eine Schrebergartensiedlung, deren kleine Häuschen aus Wellblechplatten und Holzstücken zusammengezimmert waren.

Fast wie im Wienerwald!

…und wieder zurück im Nebel

Kitschig / Schmutzig

Von Filiași in die Welt

Der Bahnhof in Filiași (das „Filiasch“ ausgesprochen wird) war auch nicht gerade in seiner besten Form. Mehrere Schichten an Putz blätterten ab, um das Gebäude strichen Hunde und Katzen, und der Fahrdienstleiter warnte uns davor, die verfallenen Toiletten aufzusuchen. Wir waren fasziniert davon, dass ausgerechnet hier, in diesem verlassenen Nest, in etwa eineinhalb Stunden ein Zug stehen bleiben würde, der uns direkt in die funkelnden Hallen des Wiener Hauptbahnhofes bringen sollte. Mein Vater hat oft gesagt, dass die Welt überall dort gut ist, wo es eine Eisenbahn gibt. Na dann! 

Einer der drei Bahnhofshunde

Fast am Ende der Welt

Aber es gibt Gleise!

Und es darf gelesen werden!

Der Ort selbst war dennoch nicht viel charmanter als sein Bahnhof: eine Durchzugstraße, auf der sich eine winzige orthodoxe Kapelle, ein umso größerer Supermarkt und ein paar Fast-Food-Läden aneinanderreihten. Zu meiner großen Enttäuschung stellte sich der Teich im Park gegenüber als viel zu verschmutzt heraus, um darin zu schwimmen. Filiași machte uns jedenfalls satt, dank eines Pizzabäckers, der mit uns in einer Mischung aus Italienisch und Rumänisch sprach und uns mit Pizza, Bier und Glühwein („vin fiert“) versorgte.

Am Bahnhofsvorplatz von Filiași

Bahnhofscafé

Nichts mit Schwimmen!

Kurz danach stiegen wir dann tatsächlich in den Nachtzug nach Wien. Übrigens ist auch dieser eine Neuerung: Der Zug fährt seit dem neuen Fahrplan von Bukarest über Südrumänien nach Wien, die bisherige Verbindung führt über Nordrumänien. Längere Zeit konnten wir in der Dunkelheit die Donau beobachten und die Lichter am Ufer gegenüber, in Serbien, betrachten, bevor die Strecke dann nach Norden abzweigte. Viele Stunden später sollten wir durchgeschüttelt, aber doch wohlbehalten in Wien ankommen – wieder an der Donau und doch ganz woanders.


Reisedaten

Sonntag, 12. Dezember 2021

Wien Hbf ab 19:42 (D 60347)

Montag, 13. Dezember 2021

Cluj-Napoca an 08:19

Cluj-Napoca ab 10:00 (IR 1734)
Teiuș an 11:58

Taxifahrt nach Alba Iulia (der nächste Zug wäre erst in eineinhalb Stunden gefahren)

Dienstag, 14. Dezember 2021

Alba Iulia ab 10:12 (IR 1836)
Filiași an 16:01

Filiași ab 17:50 (D 349)

Mittwoch, 15. Dezember 2021

Wien Hbf an 08:21

Nachreisen ausdrücklich erlaubt! 🙂 

Warst du schon einmal in Rumänien? Was war dein Eindruck? Ich freue mich, wenn du einen Kommentar hinterlässt! 

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3 Kommentare

Torsten Maue 29. Dezember 2021 - 15:20

Sehr schön geschriebener Bericht, auf den ich durch einen Tweet von Helmut aufmerksam wurde. In Rumänien war ich bisher noch nie, steht aber auf meiner ToDo-Liste recht weit oben.

Viele Grüße aus Magdeburg

Reply
Thomas Niederl 29. Dezember 2021 - 19:37

Super Wochenendausflug!! Ich finde dass Reisen in Orte, die kaum jemand kennt viel reizvoller sind als 0-8-15 Destinationen. Man gewinnt dabei um so viel mehr Eindrücke an die man sich lange und gerne zurück erinnert. Nachreisen erlaubt: Zum Glück! So was ähnliches ist schon geschehen. Eine Woche nach euch ging es für mich im CFR Schlafwagen nach Cluj Napoca. Am Abend weiter nach Bukarest und von dort wieder mit dem Schlafwagen retour Ri. Österreich.

Reply
Andreas Moser 6. April 2022 - 16:22

Ja, ich war tatsächlich schon mal in Rumänien, und das sogar für ein ganzes Jahr.
Die Zugreisen quer durchs Land waren mit das Schönste!
Es gibt zwar nicht viele tägliche Verbindungen, aber dafür fast in jedes Dorf. Und weil die Züge so schön langsam fahren, sieht man richtig etwas von der Landschaft. Wenn man im Winter durch die Berge nach Brasov dampft oder im Sommer die Wildpferde neben dem Zug herlaufen, das ist wie im Film.

Bei CFR gibt es eine 6-Monatskarte für etwa 800 EUR. Irgendwann gönne ich mir das mal.

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