Die Stadt neu denken: Wiens erster Superblock

von Stadtstreunerin | Eva

Wer an einem Sommertag durch die dicht verbauten Bezirke Wiens spaziert, kommt schnell ins Schwitzen: Wien ist heiß. Das ist nicht nur dem Klimawandel geschuldet, sondern auch den vielen asphaltierten Flächen, auf denen hauptsächlich Autos fahren und parken. Das kann sich aber ändern – die Zukunft der Stadt liegt schließlich in unserer Hand!

(Kfz-)Verkehrsberuhigung, Entsiegelung, Begrünung, Partizipation: Das sind die Schlagworte, die gerade viele europäische Städte dazu bringen, sich neu aufzustellen. Schauen wir nach Barcelona: Dort gibt es seit den 1990er Jahren ein längst erprobtes stadtplanerisches Konzept – die Superblocks. Unter Beteiligung der Anrainer*innen werden mehrere Gebäudeblöcke zu einem Viertel zusammengefasst, in dem kaum noch Autos fahren (und wenn, dann mit 10 km/h). Stattdessen spielen Kinder auf den bunt bemalten Kreuzungen, ältere Menschen ruhen sich im Schatten der Bäume aus. Hier gibt es ein Video davon:

Auch in Wien gibt es seit wenigen Wochen ein solches Pilotprojekt: Rund um die Schule in der Herzgasse in Favoriten (10. Bezirk) entsteht ein „Supergrätzl“. (Grätzl ist der wienerische Ausdruck für Block.) Ich bin sehr neugierig, wie das in Wien umgesetzt wird. Ist das Supergrätzl wirklich so super, wie es der Name verspricht? Zeit für einen Lokalaugenschein! 

Das wäre der Plan…

Erkennungspunkt Supergrätzl

Verkehrsberuhigung in Rosa und Blau

Gemeinsam mit dem Verkehrsplaner Ulrich Leth und der Mobilitätsforscherin Barbara Laa (beide von der TU Wien) unternehmen wir an einem Freitag Nachmittag einen Spaziergang durch das frisch verkehrsberuhigte Viertel. Noch sind Sommerferien, der Platz vor der Schule ist verwaist. Es ist so unangenehm schwül und heiß, dass auch sonst nur wenige Menschen auf den rosa und blau bemalten Straßen unterwegs sind.

Ursprünglich hätten wir das Pilotprojekt in der Leopoldstadt (2. Bezirk) antreffen sollen – dass es jetzt in Favoriten eine Heimat gefunden hat, ist politischen Entscheidungen geschuldet. Hier ist es jedenfalls gut aufgehoben: Der Bezirk ist dicht besiedelt und hat in diesem Teil nur wenige Grünflächen zu bieten. Noch ist die neue Fußgänger*innen-Zone rund um die Schule zwar nicht wirklich grün, aber wir sind ja geduldig: In ein paar Jahren könnte es hier schon deutlich schattiger und schöner sein als jetzt. Der Anfang ist gemacht.

Viele Informationen

Die Begrünung ist momentan noch „temporär“

Lieblingsfarbe Rosa

Super ist süper!

Im zehnten Bezirk leben viele Menschen, die im Alltag Türkisch oder Bosnisch, Kroatisch bzw. Serbisch sprechen. Nur konsequent also, dass das Supergrätzl auch in andere Sprachen übersetzt werden kann: „Süper mahalle“ oder „super kvart“ heißt es dann. Wie gut die stadtplanerische Innovation bei diesen Bevölkerungsgruppen ankommt, ist derzeit noch nicht untersucht. Fest steht aber, dass gerade Menschen mit Migrationshintergrund oft über wenig Einkommen verfügen. Das bedeutet kleine, enge Wohnungen mit wenigen Freiflächen in dicht bebauten Stadtvierteln – entsprechend groß ist die Belastung durch die sommerliche Hitze. Da gehört etwas getan, will die Stadt Wien für alle lebenswert bleiben. 

Ein Brunnen mit Nebeldusche

Der Platz vor der Schule in der Herzgasse

Gewöhnungsbedürftig

So ganz angekommen ist das neue Konzept im Bezirk jedenfalls noch nicht. Die Idee, die Straßenkreuzungen in der Mitte zu teilen, um den Verkehr umzulenken (und damit beliebte Schleichwege zu unterbinden), ist offenbar nicht intuitiv erfahrbar. Wir entdecken zuerst einen umgestürzten Poller und beobachten dann bei einer anderen Kreuzung zahlreiche Verstöße gegen die StVO. Unsere Empfehlung: mindestens zwei oder drei Poller wären nötig, damit diese so genannten „diagonalen Filter“ wirksam werden. 

Poller kaputt

Kreativer Ersatz!

Auch andere Aspekte des Wiener Superblocks bedürfen noch einer Nachbesserung: Von 600 Parkplätzen wurden gerade einmal 100 eingespart. In anderen Städten wie Paris werden nicht hundert, sondern mehrere zehntausend Parkplätze auf einmal wegrationalisiert. Wien darf da gerne radikaler werden, finde ich: Eine Krise, die jeden Winkel des Planeten erreicht, zwingt uns nun mal zu einer grundlegenden Umgestaltung des städtischen Raums. Halbherzige Nicht-Lösungen à la „der Kfz-Verkehr wird eh optisch reduziert“ werden die Hitzewellen samt ihrer vielen negativen Folgen wohl kaum beeindrucken.

Ein nur mäßig attraktiver Sitzplatz

Ein Rad, viele Autos

…auch eine Möglichkeit zur Fortbewegung!

(Damit will ich nicht sagen, dass niemand und in keinem Fall mehr mit dem Auto fahren soll. Die berühmte Waschmaschine darf auch in den Superblocks von Barcelona weiterhin transportiert werden.)

Hier ist die Zeit stehen geblieben

Und weiter?

Weitere Supergrätzl sind derzeit nicht geplant, was weniger an dem Konzept selbst liegt, sondern an der etwas (*räusper*) veränderungsunwilligen Wiener Stadtregierung. Dabei hat Wien sogar ein historisches Vorbild zu bieten: Viele Gemeindebauten aus der Zeit des „Roten Wien“ könnten heute als Superblock durchgehen. Sie bieten viel grünen Freiraum und Infrastruktur, sodass die Wege zum Kindergarten, zum Supermarkt oder in den Waschsalon zu Fuß zurückgelegt werden können.

Es ist also gar nicht mal so schwer, die Stadt neu zu erfinden: Das hat es alles schon einmal gegeben. Die Stadt aber wirklich neu zu denken – daran müssen wir noch arbeiten! 

Stadt mach neu!

Danke für die tolle Führung 🙂


Weiterlesen

Autostadt Wien: https://stadtstreunen.at/autostadt-wien/

Wien und die Klimakrise: https://stadtstreunen.at/wien-und-die-klimakrise/

Ein Wiener Gemeindebau im Porträt: https://stadtstreunen.at/karl-marx-hof/

„Städte müssen Vorreiter bei Klimaneutralität sein“ – in dieser Broschüre des VCÖ geht es auch um die spanischen Superblocks: https://vcoe.at/publikationen/magazin/detail/vcoe-magazin-2020-01-staedte-muessen-vorreiter-bei-klimaneutralitaet-sein 

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