Salzkammergut, Kulturhauptstadt 2024 – ein Rückblick

von Stadtstreunerin | Eva

Eine Region, die ein ganzes Jahr lang zur Stadt erklärt wird? Die Wahl des Salzkammerguts zur europäischen Kulturhauptstadt des Jahres 2024 hatte auf jeden Fall revolutionäres Potenzial. Die ländlich geprägte Region, um die seit Jahren ein weltweiter Kult ausgebrochen ist – Stichwort Hallstatt -, hat natürlich wahre Reichtümer an Kunst und Kultur vorzuweisen. Aber in einem Kulturhauptstadtjahr wird noch einmal ordentlich draufgelegt.

Eine Einzelausstellung des chinesischen Dissidenten Ai Weiwei rund um die Kaiservilla in Bad Ischl, eine Audio-Kunstwerk-Tour auf die Gipfel des Toten Gebirges, eine schwimmende Sauna inkl. Forschungsstation am Traunsee, zahlreiche Installationen, Konzerte, Lesungen, Performances, Ausstellungen – die Übersichtlichkeit des Programmheftes war kaum noch gegeben, dafür hat die Region enorm gewonnen. Oder? Die Eröffnung vor einem Jahr hat jedenfalls ordentlich viel Staub aufgewirbelt – oder besser Puder, denn es waren Unmengen an Puder involviert -, und längst nicht alle Einheimischen waren glücklich mit dem kulturellen Zusatzangebot. Mehr als 600.000 Besucher:innen in einem Jahr sprechen dennoch für sich. 

Es folgt: ein Stadtstreunen-Lokalaugenschein in drei Jahreszeiten.  

Frühling: Salz und Wasser

Im April 2024 fahre ich alleine nach Bad Ischl. Bisher bin ich dort nur umgestiegen, jetzt möchte ich drei Nächte lang bleiben und fühle mich fast als echte Touristin, obwohl ich zur Anreise nur ein paar Stunden im Zug gesessen und nicht um die halbe Welt geflogen bin. Meine Befürchtungen, in k.u.k.-Kitsch unterzugehen und/oder von begeisterten Reisegruppen zertrampelt zu werden, bewahrheiten sich nicht. Stattdessen kann ich während dieser kühlen, verregneten Tage in Kunst und Kultur regelrecht baden.

Schon wenige Meter nach dem Bahnhof wartet das erste Kunstwerk auf mich. Eine großflächige pinkfarbene Stickerei auf dem Postgebäude mit der Aufschrift: „Solong ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feminist:in.“ Kamera heraus, klick-klick-klick. (Warum habe ich eigentlich keinen Selfie-Stick?) Um die Ecke, ebenfalls in der Post – architektonisch ein schönbrunngelbes Aushängeschild der k.u.k.-Zeit -, befindet sich die quietschbunte Installation „Luv Birds in toten Winkeln“ von Maruša Sagadin, die den winzigen Raum in einen „Skulpturenwald“ verwandelt.

Gleich gegenüber, im Sudhaus, wartet die Hauptausstellung des Kulturhauptstadtjahres auf mich: „Kunst mit Salz und Wasser“. Wo noch vor wenigen Jahrzehnten Salz in einer gigantischen Solepfanne aus dem Wasser gelöst wurde, befindet sich heute ein beeindruckender Lost-Place-Ausstellungsraum voller Kunstwerke, die eines gemeinsam haben: die Elemente Salz oder Wasser, oftmals beides.

Ich höre hier das Schmelzen des Dachstein-Gletschers, verfolge eine labyrinthische Landschaft aus Salz, tauche tief ein in das Flusssystem unserer Welt. Ich sehe ein Video, in der eine Person mit einer Hacke auf einen gefrorenen See einschlägt, bis das Eis schließlich bricht und die Person untergeht – ein Sinnbild für unsere Zeit. Ich bin inspiriert, mich zur Traun zu begeben, die rasch und frisch durch Bad Ischl fließt, und ihr zuzuhören: Was erzählt das Wasser? Was passiert, wenn wir uns nicht mehr selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern die Elemente rund um uns?

Und als ob das noch nicht genug wäre, gibt es in unmittelbarer Nachbarschaft zu Post und Sudhaus noch eine fantastisch gut sortierte Buchhandlung samt Kaffeehaus in einem denkmalgeschützten Gebäude, der ehemaligen Kurdirektion. Gegenüber – in Bad Ischl ist wirklich alles in Gehweite – befindet sich als Extra-Luxus-Draufgabe die Therme von Bad Ischl, schließlich hat die Stadt nicht umsonst ein „Bad“ im Namen. Ich kann dort herrlich im salzigen Wasser herumplantschen und meinen Gedanken nachhängen, mit abwechselndem Blick auf erleuchtete Salzsteine und in meine neu erstandenen Bücher. Selbst als ich wieder zuhause bin, wirkt der Aufenthalt in Bad Ischl noch lange nach. 

Sommer: Seltsames am See

Einige Monate später, mitten im August, steige ich erneut in Bad Ischl aus. Diesmal begrüßt mich hier nicht nur die „Solange“-Stickerei, sondern auch eine silberne Skulptur von Xenia Hauser, eine nach Luft schnappende Frau, über deren Mund ein schweres Gewicht balanciert – eine unerreichbare Sauerstoffflasche mit der Aufschrift „Atemluft“. Eine Anspielung darauf, wie erdrückend das Leben am Land sein kann? In diesen Sommertagen legt sich eine melancholische Schwere auf mein Gemüt, obwohl es im Salzkammergut längst nicht so heiß ist wie in Wien. Es regnet sogar! 

Diesmal verlagert sich mein Kulturhauptstadtjahr-Schwerpunkt auf den Traunsee, der sich von Bad Ischl gut mit dem Zug erreichen lässt. (Sprechen wir lieber nicht über die Pensionspreise rund um das blaugraue Gewässer, die mich davon abhalten, vor Ort zu logieren.) Dort verspricht die organisierte Villa Karbach Tour eine Begegnung von Realem und Skurrilem – kurz, dem „Skurrealem“. Diese Wortschöpfung stammt von dem einheimischen Schriftsteller Walter Pilar (1948-2018); die Kunstwerke, die im Lauf der geführten Wanderung zu sehen sind, weisen allesamt mehr oder weniger Bezug zu seinem Werk auf – meist eher weniger, wenn ich ehrlich bin.  

Erst fahren wir mit einem Boot zu dem stillgelegten Karbach-Steinbruch gegenüber von Traunkirchen, dessen Werkhalle und Schacht mit Bildern, Videos und Installationen von verschiedenen internationalen Künstler:innen gespickt wurden. Eine davon zeigt ein Gerüst aus Holzlatten, das als symbolischer Berg per Boot über den See gezogen wird, ähnlich wie der jahrzehntelang vor Ort abgebaute und nach Ebensee transportierte weiße Kalk. Eine andere Installation – eine Art Hexenkessel – dient dazu, das Blau des Traunsees als Farbpigment herzustellen.

Danach gibt es in der berühmten Villa Pantschoulidzeff in Traunkirchen, erbaut vom jungen Theophil Hansen, eine weitere große Ausstellung zu sehen. Da wird per Bagger ein Haus abgetragen, dort führen Wasserwerfer ein bizarr-schönes Ballet auf, und im dritten Raum hängt ein Pottwal-Mobile von der Decke. So gerne ich mich sonst in moderne Kunst vertiefe, so schwer tue ich mir diesmal: Ein roter Faden ist trotz des „skurrealen“ Bemühens kaum zu erkennen.

Als dann noch eine Lesung auf der schwimmenden Sauna im benachbarten Gmunden kurzfristig abgesagt wird, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich umfassend zu trösten. Das hat das Salzkammergut zum Glück richtig gut drauf: Nach einer Straßenbahnfahrt durch Gmunden, einem Eis auf der Promenade und einem erfrischenden Bad im See fühle ich mich seelisch wieder gestärkt. Diese Möglichkeiten stehen aber unabhängig von dem Jahr 2024 zur Verfügung. Was meine Begeisterung für das Kulturhauptstadtjahr angeht, steht es deswegen jetzt 1 zu 1. 

Herbst: China trifft Hallstatt 

Ein Gleichstand, der nach einem dritten Besuch verlangt: Im Oktober mache ich einen Tagesausflug nach Bad Ischl, um die Ausstellung „Transcending Borders“ des chinesischen Künstlers Ai Weiwei zu besuchen. War ich im April noch darauf bedacht, die größten k.u.k.-Kitsch-Fallen in Bad Ischl zu umgehen, bleibt mir jetzt nichts anderes übrig, als direkt hineinzutappen: Die Ausstellung findet am Gelände der Kaiservilla und im sogenannten Marmorschlössl statt.

Trotzdem gerate hier sogar ich ins Schwärmen: Die gezeigten Werke von Ai Weiwei offenbaren eine Vielfalt an Themen, die um Ausbeutung, Überwachung, Flucht und Konsumkritik kreisen; die eingesetzten Materialien – von Jade über Papier bis hin zu Lego – erlauben einen kritischen, mitunter auch spielerischen Zugang. Die Wände etwa sind fröhlich bunt tapeziert; erst beim genauen Hinsehen zeigen sich Überwachungskameras und Handschellen. Immer wieder wird auch ein Bezug zur prähistorischen Hallstattkultur hergestellt und so auf eindrückliche Weise gezeigt, was wir Menschen gemeinsam haben. Ob in China oder im Salzkammergut, ob vor 2.800 Jahren oder jetzt, überall gilt: Es lohnt sich, für eine bessere, menschenfreundlichere Welt einzustehen. Wir sind nicht so verschieden, wie wir verschieden gemacht werden. 

Damit endet das Kulturhauptstadtjahr für mich, aber sicher nicht meine Annäherungen an diese besondere Stadt-Region. Oder Region-Stadt? In diesem Sinne: Pfiat di Salzkammergut, bis 2025! 


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Homepage der Kulturhauptstadt: https://www.salzkammergut-2024.at/

Stadtstreunen-Tipp: Bad Ischl und Gmunden zählen mit 14 anderen österreichischen Städten (darunter Steyr und Baden bei Wien) zu den Kleinen Historischen Städten, die mit besonderen Angeboten locken. Es gibt auch einen Sammelpass!  

Lektüre: Dominica Meindl: „Selbe Stadt, anderer Planet“. Aušra Kaziliūnaitė: „Feiertags Makeup“. Ursula K. Le Guin: „Am Anfang war der Beutel“. 

Weitere Kulturhauptstädte: Bisher habe ich Graz 2003 (Österreich), Novi Sad 2022 (Serbien), Kaunas 2022 (Litauen), Veszprém 2023 (Ungarn) und Timișoara 2023 (Rumänien) besucht. Im Jahr 2025 lohnen sich Ausflüge nach Nova Gorica/Gorizia (Slowenien/Italien) sowie Chemnitz (Deutschland). 

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1 Kommentare

Anni Bürkl 14. Januar 2025 - 21:06

Interessant, dass sich da einiges getan hat! als ich für meinen Roman „K & K Kapriolen zum Kaffee“ in Ischl war, wirkte es äußerst kaiserlich.

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