Leben mit PTBS – Fünf Betroffene erzählen

von Stadtstreunerin | Eva

PTBS: Wenige Buchstaben, viele Symptome. Wer die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung – kurz PTBS – erhält, hat in der Regel einen langen Leidensweg hinter sich. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Symptome wird die PTBS häufig fehldiagnostiziert: etwa als Depression, Persönlichkeitsstörung oder Suchterkrankung. Gemeinsam ist den Betroffenen jedenfalls ein kürzer oder länger andauerndes traumatisches Erlebnis, das häufig gar nicht zur Sprache kommt. Und das nicht nur auf individueller Ebene: In den Medien werden wir ständig mit Katastrophen und Unglücksfällen konfrontiert; wie es um deren Aufarbeitung steht, wird hingegen meist nicht öffentlich gemacht. Zeit, das zu ändern, habe ich mir gedacht und fünf Betroffene aus Österreich und Deutschland gebeten, mir von ihrem Alltag mit PTBS zu berichten.

Zur Vorbereitung kannst du hier nachlesen, wie ein Trauma definiert wird.

Die Berichte sind etwas gekürzt und teils zusammengefasst. Was die PTBS ausgelöst hat, steht dabei im Hintergrund, da es vor allem um die Bewältigung des Alltags geht. Die Namen und manche Details habe ich geändert, um die Anonymität zu wahren. Wie immer gibt es dazu schöne Fotos aus der Natur.


Jasmin

Leider ist mein Alltag nicht sonderlich spannend. Ich stehe morgens auf, mache mir eine Kanne Kaffee und rauche dabei eine Zigarette. Dann gehe ich ins Wohnzimmer an den PC, ich spiele aktuell World of Warcraft. Ich bin nicht gut darin, aber ich habe sehr liebe Menschen, mit denen ich spiele. Das hilft mir, nicht ganz zu vereinsamen. Später schaue ich fern und höre Hörbücher. Danach höre ich meine Einschlafhypnose, bis ich dann irgendwann einschlafe. Mein Leben ist langweilig, einsam, der Alltag überfordert mich. Jeden Tag dasselbe!

Ich lebe im betreuten Wohnen. Zweimal die Woche kommen meine Betreuerinnen und alle zwei Wochen kommt ein Pflegedienst, um den Haushalt für mich zu machen und mit mir einkaufen zu gehen. Ich bin auf einen Rollator angewiesen und kann nicht sonderlich weit gehen. Alleine würde ich ganz banale Termine, wie zum Beispiel auf die Bank zu gehen, gar nicht schaffen. Ich habe im Lauf der Jahre viele Ängste entwickelt. Ich kann nicht alleine mit einem Mann in einem ungeschützten Raum sein. Ich habe Angst vor fremden Menschen und immer noch sehr wenig Antrieb.

Die Diagnose PTBS habe ich erst seit 2018. Das Trauma ist 2004 passiert; ich habe viele Jahre nicht darüber gesprochen. Lang habe ich mit den Diagnosen Borderline-Störung, generalisierte Angststörung und Depression gelebt. Als ich mich 2018 endlich dazu durchgerungen habe, über das Trauma zu sprechen, war das fast ein Befreiungsschlag. Für meine Eltern war es besonders schwer, aber auch befreiend. Viele sehen mich seither mit anderen Augen. Für mich selbst war die Diagnose nicht wichtig, ich wusste ja die ganze Zeit, was mit mir los ist.

Leider habe ich keine Anbindung an eine Therapie. Ich warte momentan auf einen Platz für eine ambulante Traumatherapie, eine stationäre Therapie gibt es hier in meiner Gegend leider nicht mehr. Alle drei Monate gehe ich zu meinem Psychiater. Auch wenn es immer nur kurze Termine sind, kann ich mit ihm gut reden. Er begleitet mich seit inzwischen acht Jahren. Insgesamt gibt es viel zu wenig Unterstützung für psychisch kranke Menschen! Selbst wenn man gerade in einer akuten Krise ist, gibt es kaum Möglichkeiten. Außerdem muss ich mit vielen Vorurteilen kämpfen, selbst bei Ärzt*innen. Sobald sie von meiner psychischen Erkrankung erfahren, werden meine Beschwerden als psychosomatisch abgestempelt. Das hat mich vor ein paar Jahren fast das Leben gekostet.

Noch etwas Positives zum Schluss: Ich habe mich in den letzten Jahren sehr weiterentwickelt. Ich schaffe es, mich rechtzeitig bei Freunden oder Betreuern zu melden, bevor meine Psyche ganz zusammenbricht. Ich kann endlich Hilfe annehmen, was mir immer sehr schwer gefallen ist. Und ich kann mehr auf meine Mitmenschen eingehen. Früher war ich zu 99% mit mir selbst beschäftigt, jetzt kann ich mich auch mit anderen beschäftigen.


Iris

Ich habe seit dem Jahr 2011 Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung, aber ich musste lange warten, bis ich psychologische Hilfe erhalten habe. Auch, weil manche Angebote nicht rollstuhlgerecht sind. Ich leide unter Flashbacks, sprich, ich erlebe die schlimmen Situationen immer wieder; außerdem bekomme ich Dissoziationen. In solchen Zuständen bin ich nicht mehr ansprechbar – zwar nicht ohnmächtig, aber wie erstarrt. Ich kann auf nichts mehr reagieren. Bestimmte starke Gerüche wie Pfefferminzöl helfen mir dann, ich bin aber nicht in der Lage, mir das Öl selber zu holen. Ich habe ein starkes Vermeidungsverhalten, bin sehr schreckhaft. Schritte oder Geräusche machen mir Angst; auch Personen oder Orte können mich wieder in die Vergangenheit zurückversetzen. Nachts kann ich nicht schlafen oder habe Alpträume.

Ich bin im Alltag sehr stark auf Unterstützung angewiesen. Die normalsten Dinge kann ich nur schwer oder gar nicht machen; ich kann aktuell auch noch immer nicht arbeiten. Ich war dreimal in stationärer Therapie, jetzt soll es ambulant weitergehen. Therapie ist sehr wichtig und hilfreich, aber nicht immer. Ich hätte gerne einen speziell geschulten Assistenzhund. Es ist jedenfalls ein sehr langer Weg und möglicherweise wird es mir nie richtig gut gehen. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen in meinem Umfeld weniger Druck machen. Ein Gewaltverbrechen – und als Folge eine PTBS – kann jede*n treffen!


Luna

Mein Alltag ist ziemlich strukturiert. Ich brauche das, um gut zurecht zu kommen. Derzeit arbeite ich 30 Stunden pro Woche als Erzieherin, was mir guttut. Ich funktioniere gut dort. Nach der Arbeit bin ich derzeit meist ziemlich erschöpft und erledige noch kleine Dinge im Haushalt, die unbedingt gemacht werden müssen. Das meiste verschiebe ich aber auf das Wochenende. Ich gehe regelmäßig zu meinem Psychotherapeuten und versuche, viel an der frischen Luft zu sein. Ich arbeite noch daran, dieses Leben als das meine anzuerkennen und es nicht als das Leben zu sehen, das andere für mich bestimmen.

Ich habe einige Einschränkungen aufgrund der PTBS, zum Beispiel gehe ich nicht mehr im Dunkeln hinaus. Im Winter ist das ziemlich blöd, wenn es um halb fünf dunkel ist und ich erst um fünf Feierabend habe. Da komme ich dann erst viel später nach Hause, weil ich zu angespannt bin und der Heimweg so anstrengend ist. Manches lässt sich leider einfach nicht vermeiden. Ich versuche da zu schauen, was möglich ist und was ich gerade fühle, um die gegenwärtigen von den vergangenen Gefühlen zu trennen. Das klappt nicht immer und nicht bei allem, aber doch immer wieder.

Mit anderen Menschen komme ich gut zurecht, ich bin sehr anpassungsfähig. Ich spüre, was andere von mir erwarten oder was sie gerade benötigen. Das macht es einfach, den Erwartungen der Mitmenschen gerecht werden zu können. Mit zwei Freundinnen rede ich über einige Probleme, da es ihnen ähnlich geht und sie sich hineindenken können. Zur Familie habe ich keinerlei Kontakt mehr, den habe ich abgebrochen und bin nach unbekannt verzogen.

Ich habe wöchentlich traumaspezifische Psychotherapie. Im Lauf der letzten Jahre habe ich gelernt, dass ich nicht nur Misstrauen haben muss, sondern dass ich anderen Menschen auch vertrauen darf. Wenn es darauf ankommt, kann ich alles beiseite schieben, so habe ich zum Beispiel auch meine Bachelorarbeit schreiben können. In meiner Arbeit und auch privat setze ich mich sehr mit dem Thema Kinderschutz auseinander und achte sehr darauf, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen gewahrt werden.

Eine Ergänzung nach längerer Zeit….

Ich war echt sehr weit unten, aber mittlerweile habe ich mich nach oben gekämpft. Ich lebe gerade tatsächlich „normal“, habe als Sozialarbeiterin eine Vollzeitstelle und bin seit letztem Sommer in einer glücklichen Partnerschaft. Symptome habe ich derzeit keine oder nur sehr wenige. Es kann irgendwie auch noch positiv weitergehen!


Florentina

Mir geht es momentan nicht gut. Ich bin schwer depressiv, habe dunkle Gedanken und dunkle Gefühle. Mir fällt alles schwer. Wirklich alles. Und es fühlt sich sinnlos an, wie ein Kampf, den ich niemals gewinnen kann. Ich bin derzeit arbeitslos und bleibe oft noch lange liegen, nachdem ich aufgewacht bin. Zu meinen Terminen bin ich aber pünktlich. Meistens esse ich unterwegs, weil ich zu depressiv bin, um etwas zu kochen. Ich versuche, meine Therapietermine so zu organisieren, dass ich so oft wie möglich aus dem Haus komme. Abends schaue ich gerne fern, daran kann ich mich etwas klammern. Ansonsten: Hausarbeit, malen, am Handy spielen.

Ich komme ganz gut alleine zurecht. Die Arbeit im Haushalt geht meistens schnell, wenn ich mich mal aufgerafft habe. Mit Schwierigkeiten habe ich mich arrangiert. Seit Kurzem bin ich im ambulant betreuten Wohnen, weil es mir schwerfällt, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren und alleine zu Terminen zu gehen. Ich kann das zwar und mache es auch, aber es geht mir nicht gut damit. Deswegen kommt eine Betreuerin mit, damit ich entlastet werde.

Die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung habe ich im Herbst 2014 erhalten; außerdem habe ich eine dissoziative Störung mit teilabgespaltenen Persönlichkeitsanteilen. Seitdem das, was in mir „wütet“, einen Namen bekommen hat, ist es greifbarer geworden. Ich habe Schlafstörungen; es dauert lange, bis ich eingeschlafen bin, und ich wache sehr oft auf. Ich habe Alpträume, die noch stundenlang nachwirken, und ich fühle mich oft erschöpft. Gefühlt macht mir alles und jeder Angst. Manchmal habe ich Flashbacks und das fühlt sich an, als würde ich nochmal Kind sein und etwas durchleben. Manchmal spüre ich den Körper kaum, manchmal zu sehr.

Oberflächlich vertraue ich Menschen sehr schnell, weil ich froh bin, dass mich überhaupt jemand aushält. Aber eigentlich fällt es mir unheimlich schwer, wirklich zu vertrauen. Das braucht viele Jahre. Ich bin schnell verunsichert, habe immer das Gefühl, dass ich mich blöd verhalte. Zur Familie habe ich keinerlei Kontakt. Sicher habe ich mich weiterentwickelt, aber ich bringe das ungern mit den Traumafolgestörungen in Verbindung, weil es sich für mich so anfühlen würde, als wäre der Missbrauch für etwas gut gewesen.

Mein Leben ist ein ständiges Überleben, ein ständiges Kämpfen. Umgeben von glitzerbuntem Glitzer.


Philipp

Heute geht es mir ziemlich gut, obwohl ich verschlafen habe. In der Nacht bin ich wegen starker Schmerzen mehrmals aufgewacht. Normalerweise mache ich mir nach dem Aufstehen einen Kaffee, manchmal ein Müsli. Dann checke ich Nachrichten auf meinem iPad und vernichte im Internet die Zeit. Es gelingt mir nicht immer, mich davon loszureißen. Ich versuche, etwas vorzuhaben. Aber im Allgemeinen ist mein Tag eher unstrukturiert. Da meine Nächte oft mühsam sind, schlafe ich oft länger und werde erst ein, zwei Stunden nach dem Aufstehen aktiv. Dafür eben auch oft bis spät in den Abend oder die Nacht hinein. Ich kann nicht mehr normal arbeiten, aber ich helfe lieben Menschen in meinem Umfeld, wenn sie was brauchen. Das zwingt mich, etwas zu tun. Früher habe ich viel gekifft, damit ich besser schlafen kann. Ich habe aber festgestellt, dass Kiffen zwar beim Einschlafen hilft, ich jedoch trotzdem schlecht schlafe. Nüchtern ist der Schlaf ruhiger und gesünder; das bedeutet halt, dass ich manchmal bis fünf Uhr früh wach bin.

Ich komme im Alltag weitgehend zurecht, bin aber nicht unbedingt kompatibel mit der übrigen Gesellschaft, weil ich oft so spät aufstehe. Außerdem bin ich nicht durchgehend und ständig hoch belastbar. Meinen Verpflichtungen komme ich oft nicht angemessen nach. Das heißt, ich verpasse manchmal Fristen, was mich bei Ämtern unnötig in Probleme verwickelt. Aber im Endeffekt schaffe ich es dann doch immer wieder – meist mit der Unterstützung lieber Freunde, derer ich mich sehr glücklich schätze.

2001 habe ich einen Zusammenbruch erlitten und war bis 2010 verzweifelt auf der Suche nach Hilfe. Eher zufällig habe ich dann eine Begutachtung erhalten. Die Sätze „Es ist alles in Ordnung. Die Dinge sind, wie sie sind, weil Sie als Kind schwer missbraucht worden sind.“ haben mir erst mal den Boden unter den Füßen weggezogen. Aber gleichzeitig war ich erleichtert, ab da konnte ich es gezielter angehen. Es hat dann trotzdem noch einige Jahre gedauert, bis ich zu meiner heutigen Therapeutin gekommen bin. Es ist extrem schwierig, mit der Diagnose PTBS professionelle Therapie, womöglich sogar auf Krankenkasse, zu bekommen. Viele Therapeut*innen sind für Hardcorethemen nicht geeignet und kommen dann selbst an ihre Grenzen. Umso wertvoller die wenigen, die ich im Lauf der Jahre kennenlernen durfte.

Psychisch krank zu sein ist immer noch stigmatisierend. Egal, wie hochbegabt, klug oder leistungsfähig man ist, man genügt nicht. Ich bin nicht genügend für die Wirtschaft, weil ich nicht produktiv bin, und auch sozial nicht genügend, weil ich oft anecke. Das kann man mit meiner Diagnose erklären oder einfach damit, dass ich sehr sensibel reagiere. Ich hab meinen feinen Freundeskreis und darüber hinaus möchte ich möglichst wenig mit Menschen zu tun haben. Ich sehe die Gesellschaft sehr kritisch, bin desillusioniert. Ich glaube sehr wohl fest an das Gute im Menschen und erlebe es auch immer wieder, alles in allem halte ich die Gesellschaft aber für verlogen und ausbeuterisch.

Mein Leben ist außergewöhnlich, im Guten wie im Schlechten. Ich habe viel gesehen, viel gelernt.

Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft ihren Blick auf die Ursachen von Traumatisierung lenkt. Wenn wir Traumata gesellschaftlich überwinden wollen, müssen wir verstehen, wie Traumata entstehen. Wir müssen genau hinschauen, warum Menschen zu Täter*innen werden und andere Menschen verletzten. Nur wenn man ein Problem akzeptiert und daran arbeitet, wird es besser – das ist meine Erfahrung. Damit verbunden ist der Wunsch, dass sich traumatisierte Menschen nicht mehr verstecken müssen. Weil sie keine Sorge haben müssen, bloßgestellt zu werden, sondern genau wie andere Menschen so akzeptiert werden, wie sie sind – als mitfühlende, liebenswerte und eben seelisch verletzte Menschen.


Diesen Worten kann ich mich nur anschließen. Danke an Jasmin, Iris, Luna, Florentina und Philipp für die Offenheit und das Vertrauen, von ihrem Leben zu erzählen!

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