Eine Stadt auf Stand-by

von Stadtstreunerin | Eva

Das Coronavirus hat Wien innerhalb weniger Tage fast komplett lahmgelegt. Um die Ausbreitung des gefährlichen Virus zu verlangsamen, sind die Menschen in der ganzen Stadt aufgefordert, zuhause zu bleiben. Seit Montag vergangener Woche gibt es nur noch drei Gründe, das Haus zu verlassen, heißt es von der Bundesregierung: um Lebensmittel einzukaufen oder sonstige Besorgungen zu erledigen, um unbedingt notwendige bzw. „systemrelevante“ Arbeit zu verrichten und um anderen zu helfen. „Bleibt daheim“, lautet das Motto, das gerade stadtauf, stadtab durchgegeben wird. (Für Menschen, die kein Daheim haben, gibt’s übrigens kein Motto.)

Ja, hier lässt sich’s leicht daheim bleiben…

Geisterstadt Wien

Schwierige Zeiten also für eine Stadtstreunerin… Aber zum Glück gibt es eine Ausnahme: Spaziergänge und Radfahrten sind weiterhin erlaubt, allerdings nur alleine oder mit Personen aus dem eigenen Haushalt – und außerdem mit ausreichend Abstand zu anderen.

Ich nutze dieses Schlupfloch in den ersten zwei Wochen der Quasi-Quarantäne so oft wie nur möglich. So froh war ich noch nie, im Westen Wiens zu leben, wo der Wienerwald fast bis vor die Haustüre reicht, die urbaneren Gebiete aber auch mit dem Rad noch gut zu erreichen sind – ein Leben ohne frische Luft mag ich mir gar nicht vorstellen! Abgesehen davon finde ich meine vorsichtigen Streifzüge auch einfach faszinierend: So leer, so ruhig, so geisterhaft habe ich Wien noch nie erlebt!

Schoten dicht!

Fragen dazu?

Alles hat zu

Ich habe es mir davor nicht vorstellen können, aber von einem Tag auf den anderen hat tatsächlich alles zu. Fast alle Geschäfte sind geschlossen, die Kaffeehäuser sind versperrt, die Baustellen kommen zum Stillstand, sogar die Spielplätze sind mit rot-weißen Absperrbändern markiert. Die öffentlichen Verkehrsmittel verkehren zwar noch, sind aber meist eher als Geisterzüge oder Geisterstraßenbahnen unterwegs.

Hübsch versperrt

Hängematte hat zu

Restbahn statt Westbahn

Plötzlich wird mir klar, was das Leben in Wien ausmacht, und wie wenig davon wirklich überlebensnotwendig ist. Das macht mich doch ziemlich nachdenklich. Die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen ist so zentral wie nie zuvor: Die Formel „Bleiben Sie gesund!“ ersetzt binnen kürzester Zeit andere gängige Abschiedsgrüße. 

Viel Gesundheit!

Vogelfrei

Die Ausgangsbeschränkungen haben durchaus interessante Folgen: Wenn die Menschen sich zurückziehen, bleibt mehr Platz für die Tiere. Der Verkehr hat deutlich abgenommen, kaum noch Flugzeuge dröhnen am Himmel – umso lauter sind jetzt die Vögel zu hören. Fenster auf, Vogelkonzert an! 

Endlich keine Autos mehr!

Bei meinen Spaziergängen und Radtouren beobachte ich Gartenrotschwänze, Rotkehlchen, Amseln, Eichelhäher und Kohlmeisen. Einmal höre ich sogar mitten im siebten Bezirk einen Specht tschirpen und erhasche einen Blick auf sein rotes Bauchgefieder hoch über der Burggasse!

Mehr Vögel braucht die Stadt!

Bei einem Spaziergang auf den Steinhofgründen kreuzt ein Reh meinen Weg und schaut ganz verdattert. Ist es einfach scheu oder haben sich die Tiere tatsächlich so schnell an ein Leben ohne uns Menschen gewöhnt? Eine weitere Tierbegegnung, diesmal der eher unheimlichen Art, habe ich eines Abends im Dehnepark. Ganz alleine sitze ich auf einer Bank und genieße den Blick hinauf in den Sternenhimmel, als plötzlich ein Dachs seelenruhig an mir vorbeiwatschelt. Huch!

Abendstimmung über Hütteldorf

Im Wiental

Alles in Blüte

Die Corona-Pandemie fällt ziemlich genau mit dem Frühlingsbeginn zusammen. Rundherum treiben die Pflanzen aus, das erste zarte Grün legt sich über die Sträucher und Bäume. Die Tage werden länger und wärmer, und nachdem die Pflanzen vom Virus nicht viel mitkriegen, legen sie jetzt richtig los. Innerhalb weniger Tage steht alles in Blüte. Der Anblick tröstet mich und verspricht, so wie jedes Frühjahr, neue Kraft und neue Freude am Leben.

Der Sonne entgegen!

Kleines Immergrün ganz in Violett

Und Trost ist in Zeiten wie diesen sehr wichtig! Zu den Sorgen um ältere Verwandte, Nachbar*innen und Freund*innen gesellen sich schließlich konkrete Ängste vor der Zukunft und vor den weiteren Entwicklungen. Angesichts zahlreicher sich überlappender Krisen ist es gerade wirklich nicht leicht, optimistisch zu bleiben.

Wie geht Fröhlichsein nochmal?

Aber vielleicht kann ja die Natur selbst ein Vorbild sein. Vielleicht können wir das alles auch als eine Zeit des persönlichen und gesellschaftlichen Wachstums sehen, in der wir das eine oder andere Blatt entfalten oder sogar Knospen zum Blühen bringen… In diesem Sinne: Bleibt gesund – und treibt aus! 

Einen Halt finden, egal wo

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