Stadtplanung per Virus

von Stadtstreunerin | Eva

Wien gilt ja als gute Stadt, um den Weltuntergang abzuwarten. Aktuell erfahren wir, was das bedeutet: Das Coronavirus hat die Stadt binnen kürzester Zeit in ein apokalyptisches Szenario verwandelt. Freilich sind immer noch Menschen in der Stadt unterwegs, denn ein bisschen Frischluft muss auch in Zeiten einer Pandemie sein. Dennoch, die vielen geschlossenen Geschäfte, die leeren Plätze und die Geisterbahnhöfe sorgen für eine ganz eigenartige Stimmung. (Ich habe in dem Artikel „Eine Stadt auf Stand-by“ davon berichtet.)

Ich habe so lange von Veränderung geträumt, die Stadt ist mir in den letzten Jahren zu laut, zu voll und zu heiß geworden. Jetzt, wo auf einmal alles anders ist, erscheint mir dieser Traum sehr lange her. (Und wie es aussieht, muss man noch immer aufpassen, was man sich wünscht!)

Diese verordnete Zwangspause im städtischen Leben ist jedenfalls auch eine Gelegenheit, darüber nachzudenken, was von den aktuellen Entwicklungen bleiben kann – und was sich ändern muss, damit Wien in Zukunft wieder lebenswerter wird. Für alle! Nicht nur für die Teilnehmer*innen der alljährlichen „Wien ist ja sooo lebenswert“-Studien.

Wien, nur du allein?


Autos. Seit es nur noch „drei (bzw. vier) Gründe gibt, um das Haus zu verlassen“, ist der motorisierte Individualverkehr um einiges zurückgegangen. Aber noch nicht genug, finde ich. Eine Stadt, die einen guten Weg in Richtung Zukunft gehen will, MUSS ihr Verkehrsaufkommen reduzieren bzw. nachhaltiger gestalten. (Es ist mittlerweile keine Frage des Wollens oder Sollens mehr!)

Wien ist nach wie vor eine Stadt, in der das Auto den Takt vorgibt – die Menschen müssen sich viel zu oft mit dem Raum abfinden, der (gnädigerweise) übrig bleibt. Viele Gehsteige sind zu eng, um den derzeit vorgeschriebenen Abstand von einem Meter zu anderen Personen einhalten zu können. Spätestens jetzt, in Zeiten der Pandemie, rächen sich die Jahrzehnte autofokussierter Verkehrspolitik – in Zeiten der Erderwärmung erst recht, und da wird auf jeden Fall noch einiges auf uns zukommen. 

Die Stadt der Autos

Flugzeuge. Auch Flugzeuge können in Zukunft bitte gerne vermehrt draußen bleiben. In Spitzenzeiten brettert alle zwei Minuten ein Flugzeug über die Stadt hinweg und sorgt für ein nicht enden wollendes Dröhnen. Lärm macht erwiesenermaßen krank! Von der Umweltbelastung möchte ich erst gar nicht anfangen.

Die Pläne zum Ausbau des Flughafens Schwechat dürfen also gerne mitsamt dem Coronavirus verschwinden. Und: Flüge MÜSSEN teurer werden – ein Flug nach London kostet derzeit nicht viel mehr als eine Zugfahrt nach Linz. Das muss sich ändern. Also, her mit der CO2-Steuer!

Streifenfreies Blau über der Kirche am Steinhof

Tourismus. Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt habe ich eine ganz neue Stadt kennengelernt. Wien ohne Touris! In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Tourist*innen in Wien vervielfacht, und – no offence meant – die Menschenmassen verursachen zahlreiche Probleme.

Neuerdings musste man bei manchen Kaffeehäusern lange Wartezeiten in Kauf nehmen, bis ein Platz frei wird (ja, so etwas ist in Wien ein echtes Problem!). Außerdem ist die Innenstadt zu voll und zu eng, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass hier immer noch viel zu viele Autos fahren dürfen.

Ganz allein!

Fiaker. Wien ohne seine Fiaker war bisher kaum denkbar. Jetzt auf einmal klappern keine Hufe mehr über das Pflaster des Michaelerplatzes – ein guter Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, ob Fiaker wirklich noch zeitgemäß sind. Keine Frage, ich liebe den Anblick der Pferdekutschen, sie gehören zu Wien einfach dazu. (Zu meinem 30. Geburtstag habe ich mir eine Fahrt schenken lassen, es war herrlich!)

Aber wie geht es eigentlich den Pferden? Insbesondere bei Temperaturen jenseits der 25 Grad (und die gibt es schließlich immer häufiger) tun mir die Pferde wirklich leid. Das Tierwohl in Zukunft mehr zu berücksichtigen, ist ja wohl hoffentlich nicht zu viel verlangt!

Keine Pferde, keine Menschen

Überwachung. Was auf jeden Fall sofort wieder weg kann, ist das Ausmaß an Überwachung in der Stadt. Die Polizei patrouilliert auf und ab, ein Polizeiauto nach dem anderen fährt durch die Innenstadt, Polizist*innen sind auf einmal überall. Ich gehe nicht mehr aus dem Haus ohne eine plausible Erklärung, was ich denn da draußen vorhabe – für den Fall, dass jemand fragt. Bisher hat keiner gefragt, aber dieses Gefühl, sich für jeden Schritt rechtfertigen zu müssen, kann so schnell wie möglich wieder weg!

Was ich auch sehr bedenklich finde: A1 wertet gerade die Daten unserer Smartphones aus, um Bewegungsprofile zu erstellen, natürlich anonymisiert. Trotzdem: Der Einsatz von Big Data und großen Kontrollen mag den Kampf gegen das Coronavirus unterstützen, aber leider – meine Privatsphäre ist mir immer noch wichtig!

Wache halten vor der Hofburg

Fahrräder. Das Fahrrad ist das Transportmittel Nummer 1 – für mich sowieso immer, aber in Krisenzeiten erst recht! Klimapolitisch ist es ein völlig falsches Signal, jetzt ausgerechnet das Auto als sicherstes Verkehrsmittel darzustellen. In den Stahlkarossen ist man zwar vor dem Virus sicher – nicht aber vor schweren bis tödlichen Unfällen!

Leider sieht das die Stadt Wien nicht ganz so, sonst würde die Radinfrastruktur längst anders aussehen als zum Beispiel in der Spitalgasse oder in der Schottenfeldgasse. Immer noch versucht die Stadt, einen „Kompromiss“ zwischen vielen Autos und wenigen Fahrrädern anzustreben – als ob eine echte Begegnung mit einer tonnenschweren Maschine überhaupt möglich wäre. Weg damit! Das Fahrradfahren MUSS neben dem Zufußgehen die wichtigste Form der Fortbewegung werden – es ist gesund, nachhaltig, sicher und klimafreundlich. Städte wie Amsterdam, Kopenhagen oder neuerdings sogar Paris zeigen vor, wie’s geht.

Aufs Fahrrad setzen!

Toiletten. Ein oft vernachlässigter Punkt: Die Anzahl an Toiletten im öffentlichen Raum ist in Wien zu gering. Das fällt jetzt mehr auf denn je, wo Kaffeehäuser, Lokale und Einkaufszentren als Alternative wegfallen. Als Mensch mit schwacher Blase muss ich meine Spaziergänge derzeit danach ausrichten, wo es ein (benutzbares) öffentliches Klo gibt. Stadtstreunen mal anders – von Toilette zu Toilette! (Übrigens ist das tatsächlich ein Thema in der Stadtplanung, wie der Artikel „Wie Wien Mädchen zurück in die Parks holte“ zeigt.)

Abort am Ort

Grünraum. Die Bundesgärten sind aufgrund der aktuellen Situation geschlossen worden. Dazu zählen der Augarten, Schloss Schönbrunn, der Burggarten, der Volksgarten und der Park rund um das Schloss Belvedere. Die Stadtregierung liefert sich gerade Diskussionen, ob die Gärten geöffnet oder doch lieber Straßen zum Spazieren freigegeben werden sollen. Momentan gibt es weder Gärten noch Straßen. (Dafür gibt es eine Online-Petition zur Öffnung der Bundesgärten.)

Das zeigt: Obwohl Wien eine sehr grüne Stadt ist (nicht zuletzt dank des großen Waldanteils), könnte es mehr Grünraum geben, viel mehr. Gerade in den dicht besiedelten Innenbezirken fehlt ein grüner Ausgleich zum Stadtgrau mehr denn je. (Erst recht dann, wenn es – womöglich schon bald – die ersten heißen Tage geben wird.) Mehr Grünraum, mehr Freiraum für alle! 

Volksgarten, durch den Zaun betrachtet

Zuversicht. Zuletzt noch etwas Positives: Eine Krise kehrt auch immer die besten Seiten von uns Menschen hervor. Die Bereitschaft, andere zu unterstützen, ist riesig. Viele haben mit ihren Kindern Plakate oder Zeichnungen gestaltet, die von den Balkonen aus Zuversicht schenken: Alles wird gut! Dieses Motto können wir ewig grantigen Wiener*innen gerne in bessere Zeiten mitnehmen.

Regenbogen am Balkon

Ruhe. Die Stadt ist in den letzten Wochen viel ruhiger geworden. Mitunter ist es sogar in den inneren Bezirken mal richtig still. Menschen sitzen auf Bänken und lassen sich sonnen, anstatt dem neuesten Trend hinterherzulaufen. Es ist so angenehm!

Die Ruhe taugt auch den Tieren: Die Vögel zwitschern mehr denn je, in Wales erobern Bergziegen gerade eine Stadt. Wer weiß, was uns bevorsteht, wenn die Dachse, Füchse und Rehe aus den Praterauen auftauchen! (Übrigens trägt der Schutz der Natur und der Artenvielfalt auch dazu bei, Pandemien zu verhindern, sagt der Biologe Andrew Cunningham in dem Artikel „Gestresste Fledermäuse übertrugen das Virus“.)

Es hat schon begonnen 😉

Jede Krise ist auch eine Chance, heißt es ja. Auch wenn es schwer fällt, daran zu glauben – wir können die Pandemie als ein stadtplanerisches Experiment sehen, das uns den Weg in die Zukunft weist. In Zeiten wie diesen zeigt sich eben, was wirklich wichtig ist. Danach liegt es an uns, das auch umzusetzen oder beizubehalten!


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