Hermagor befindet sich nicht mal im hintersten Winkel von Kärnten und schon gar nicht von Österreich, aber es fühlt sich trotzdem so an. Die Stadt liegt eingeklemmt zwischen den Gailtaler und den Karnischen Alpen, Richtung Süden versperrt ein dunkel bewaldeter, fast senkrechter Berg den Blick hinüber ins Nachbarland Italien. Als ich zum ersten Mal in Hermagor aus dem Zug steige, liegt Schnee nur noch auf den obersten Bergspitzen. Im Tal blühen schon die Schneerosen und die Palmkätzchen treiben aus, obwohl es erst Mitte Februar ist.
Die Stadt, das Dorf
„Erwarte dir nicht zu viel, Hermagor ist ein Dorf“, sagt eine Freundin noch zu mir, bevor ich die Reise antrete. Und tatsächlich besteht Hermagor mit seinen 7.000 Einwohner*innen aus nicht viel mehr als zwei Kirchen, einer großen Holzfabrik, einigen Straßen und etlichen Geschäften. Aber von Dorf kann keine Rede sein: Schließlich feiert Hermagor heuer im Oktober sein 90-jähriges Jubiläum als Stadt.
Eigentlich eine lange Zeitspanne, um sich als Stadt zu entwickeln. Dennoch, besonders einnehmend oder charmant ist die Stadt nicht – vor allem im Gegensatz zur Gailtaler Bergwelt rundherum. Was aber steckt hinter den bisweilen recht herabgekommenen Fassaden?
Bei einem ersten Streifzug entdecke ich Häuser, die sich über einem kleinen Steilufer aneinander drängen, etliche leerstehende Geschäfte und einen schön gepflasterten Hauptplatz. Es könnte insgesamt weniger Verkehr geben in Hermagor, denke ich beim Überqueren der Straßen und Gässchen, andererseits liegt die Stadt so fernab der Hauptverkehrsrouten, dass es im nahen Wald bald ganz ruhig wird.
Wie es wohl ist, so abgelegen zu leben, frage ich mich. In der Bezirkszeitung finde ich einen Artikel dazu: „Es gibt viele Gründe, in Hermagor zu leben, wir sind nicht zum Spaß aus Wien zurückgekommen“, sagt Claudia Ressi, der das einzige ansprechende Restaurant der Stadt gehört – der Bärenwirt – und die abends ausgezeichnete Kärntner Nudeln serviert.
Tatsächlich, manche der Häuser in Hermagor versprechen ein gemütliches Landleben inmitten schönster Natur. Ein Kontrastprogramm gibt es aber auch: Ein Neubau ist so dermaßen hässlich, da könnte man doch gleich auch in der Großstadt leben. (Sorry an die Neubauten in Wien!)
Das Dorf, das Land
Zwischen dem kleinen Bach, der Hermagor durchfließt, und den steilen Abhängen rundherum finde ich auch einige kleine Besonderheiten: einen viereckigen Kasten auf Rädern zum Beispiel, einen sogenannten Hunt. Zufällig ist gerade der Besitzer des Grundstücks da, er erzählt, dass sein Vater im Bergwerk bei Bleiberg bis zu dessen Schließung gearbeitet und sich den Hunt als Erinnerungsstück aufbewahrt hat.
Aber nicht nur hier merke ich, wie sehr Hermagor von der gebirgigen und landwirtschaftlich genutzten Umgebung geprägt ist. Auch in der Stadtpfarrkirche verbirgt sich an einem Seitenaltar ein Hinweis darauf: Hier wird die heilige Notburga angebetet, die Schutzpatronin der Landwirtschaft. Hoch die Sichel!
Draußen an der Kirchenwand liegen einige hübsche Steine, und in einem verlassenen Haus gleich neben der Kirche entdecke ich sogar eine echte Schatztruhe. Was das wohl bedeuten mag? Ganz schön geheimnisvoll, dieses Hermagor!
Das Land, die Sprache
Statt mich aber der Schatzsuche zu widmen, suche ich etwas anderes, das in Kärnten gerne im Verborgenen bleibt: die slowenische Sprache. Mit allen Kräften bemühe ich mich, ein slowenisches Wort in Hermagor – slowenisch Šmohor – zu finden.
Sicher, Hermagor befindet sich im deutschsprachigen Siedlungsgebiet – knapp nordwestlich der Sprachgrenze. Aber rundherum lebten immer schon slowenischsprachige Kärnter*innen, was sich auch in den Ortsbezeichnungen niederschlägt. Die Katastralgemeinden von Hermagor heißen unter anderem Görtschach, Mitschig, Möschach oder Nampolach. (Da fällt mir das Gespräch mit der Kärntner Slowenin Nada Zerzer wieder ein, die diese „Geographie der Zweisprachigkeit“ sehr gut beschreibt – hier geht’s zum Artikel.)
Dennoch, ich finde keinen einzigen Hinweis auf die historische und trotz aller Widrigkeiten immer noch gelebte Zweisprachigkeit im Gailtal (slow. Zila oder Ziljska dolina). Keinen einzigen! Sehr enttäuscht von Hermagor – immerhin Bezirkshauptstadt! -, wende ich mich diesbezüglich an die Wirtin der Pension, in der ich übernachte.
„Sie meinen das Windische“, sagt sie, „das ist ja eine Mischung aus Slowenisch und Deutsch, das hat man nicht geschrieben, nur gesprochen. Heute spricht das aber keiner mehr hier in Hermagor, nur da weiter draußen, in Egg.“ Dann aber eine Überraschung: Die Wirtin, aus einer deutschsprachigen Familie stammend, hat in der Volksschule selbst noch Slowenisch gelernt (eine Zeit lang war das in Südkärnten verpflichtend), und kann sich bis heute mit Gästen aus Slowenien zumindest ein bisschen unterhalten!
Dennoch, „Windisch spricht hier keiner mehr“: Deutsch ist die Sprache der Gegenwart, Slowenisch gehört in die Vergangenheit, auch wenn es hie und da doch noch Überlappungen zwischen gestern und heute gibt.
Die Sprache, der See
Zwar ist es nichts Neues, wie Kärnten/Koroška mit seiner Zweisprachigkeit umgeht, aber es stimmt mich doch traurig. Ich finde Slowenisch so schön, ganz besonders die archaischen, stark vom Deutschen geprägten Dialekte in Kärnten. (Übrigens sind auch die deutschen Dialekte in Kärnten vom Slowenischen beeinflusst, aber in geringerem Ausmaß.)
Was die Wirtin sagt, ist allerdings auch ziemlich faszinierend: Selten habe ich eine so gute Wiedergabe der These des deutschnationalen, später nationalsozialistischen Historikers Martin Wutte aus dem Jahr 1930 gehört, demzufolge „Windisch“ gar kein richtiges Slowenisch sei und man sich daher doch gleich assimilieren könne.
Zum Glück hat Hermagor zum Abschluss auch einen kleinen, großen Trost für mich: den Pressegger See (slow. Preseško Jezero), paradiesisch zwischen Schilf und schneebedeckten Bergen gelegen. Der Seezugang ist natürlich versperrt.
Aber ich klettere einfach über einen Zaun und dann geht’s schon ab ins kalte Nass! Der See dürfte etwa fünf Grad Wassertemperatur haben, aber das stört mich nur insofern, als ich es nicht länger als ein paar Minuten darin aushalte.
Am Weg zurück zum Bahnhof sprechen mich zwei Frauen an, ob das kalte Wasser nicht eine Gefahr sei für Körper und Geist. Ganz im Gegenteil! Ich fühle mich gestärkt und könnte gut und gerne noch ein paar Tage im Gailtal vertragen – vielleicht ja auch, um mein Slowenisch wiederzubeleben? Beim nächsten Mal dann!
Adijo, Zila, fajn se imej!
Anreise
Mit dem Zug von Wien nach Villach, dann in den Zug nach Hermagor einsteigen. Die Reisezeit beträgt circa sechs Stunden. Übrigens, der letzte Abschnitt zwischen Arnoldstein und Hermagor ist erst seit Kurzem elektrifiziert – ein kleiner Bonus für Eisenbahnfreund*innen!