(Wieder) einmal über die Koralm

von Stadtstreunerin | Eva

„Ich will zu den Glitzersteinen!“ Meine Eltern brauchten mich nicht zum Wandern motivieren, als ich ein Kind war. Die Aussicht auf die glitzernden Felsen der Koralm war für mich Grund genug, die Wanderschuhe zu schnüren und einen geeigneten Stecken zu suchen.

Ich kann mir zwar vorstellen, dass ich auf den langen Märschen auf den 2.140 Meter hohen Speikkogel mit seinen weithin sichtbaren „Kugeln“ das eine oder andere Mal die Motivation verloren haben könnte – aber dazu ist nichts überliefert. In den Fotoalben meiner Kindheit sieht man mich meist als stolze Wanderin, abwechselnd auf weißen Felsen und vor Gipfelkreuzen posierend. „Traumziel: Glitzersteine“ hat mein Vater dazu notiert.  

Juhu, Sommer auf der Koralm!

Dass ich als Kind jedes Jahr im Sommer eine Woche im Koralm-Gebiet verbracht habe, jenem Höhenzug, der die Grenze zwischen Kärnten und der Steiermark markiert, habe ich meinem Onkel Peter zu verdanken. Er hat mit seiner Familie viele Jahre lang die Gösler Hütte, später die Naturfreundehütte auf der Weinebene bewirtschaftet. Irgendwann, als ich schon fast im Teenager-Alter war, wurde diese Tradition unterbrochen. Bis zum Herbst 2022!

Der Koralm-Plan

Ein mildes, überaus sonniges Wochenende im Oktober lädt Helmut und mich dazu ein, wieder einmal die Koralm zu überqueren – so wie seinerzeit in den 1990er Jahren. Wir planen eine zweitägige Wanderung von Wolfsberg bis Deutschlandsberg  mit Übernachtung im Koralpenschutzhaus, allerdings kürzen wir etwas ab – die vollen 50 Kilometer sind doch etwas zu ambitioniert. Meine Tante Rosemarie erspart uns am ersten Tag ganze 600 Höhenmeter, indem sie uns mit dem Auto bis zum Jager am Eck bringt.

Blick auf Wolfsberg, das Lavanttal und die Saualm

Danke Tante Rosemarie! 🙂

Im Tal hängt der Nebel

1.100 Höhenmeter

Trotz dieser Abkürzung hat es die Wanderung über die Koralm in sich: Wir sind am ersten Tag von 10 bis 17 Uhr unterwegs und legen auf 13 Kilometern über 1.100 Höhenmeter zurück. Lange wandern wir durch einen bewirtschafteten Wald, der uns nach den Erlebnissen in den Nationalparks Kalkalpen und Thayatal richtig leer vorkommt.

Dann erreichen wir die erste Zwischenstation: das Hotel Waldrast, das leider geschlossen ist – eine tolle Aussicht bietet uns die Raststation aber allemal. Noch immer hält sich im Tal malerisch der Nebel. Auch dieser Ort hat mit meiner Familie zu tun: Hier haben meine Eltern dereinst, lange vor meiner Zeit, ihre Hochzeit gefeiert.

Gegenlicht im Wald

Hotel und Gasthaus „Waldrast“

Rast mit Aussicht

Bis zur Waldgrenze und noch weiter

Mit jedem Höhenmeter schweift der Blick immer mehr in die Ferne: Wir überblicken nach und nach das gesamte Lavanttal, angefangen von der gegenüberliegenden Saualm bis hin zum Klippitztörl und weiter noch bis zum steirischen Zirbitzkogel. Im Süden grüßen die drei Hügel von St. Paul, wo meine Mutter in die Schule gegangen ist, dahinter ragt der Gebirgszug der Karawanken auf. Die Kärntner Landeshymne kommt mir in den Sinn, in der auch das Lavanttal besungen wird:

Wo, von der Alpenluft umweht,
Pomonens schönster Tempel steht,
wo sich durch Ufer, reich umblüht,
der Lavant Welle rauschend zieht,
im grünen Kleid ein Silberband –
schließt sich mein lieblich’ Heimatland.

Pomona, die Göttin der Baumfrüchte, hat leider nichts für uns parat – aber wir haben ja glücklicherweise unseren eigenen Proviant mitgebracht!

Nach etlichen Kilometern auf einer Forststraße wechseln wir auf einen wunderschönen Pfad, der uns einen Bach entlang höher führt, bis wir endlich die Waldgrenze erreichen. Hier beginnt die karge Landschaft, nach der ich schon als Kind süchtig war: Langsam gehen die Nadelbäume in windgebeutelte Erlen über, dann folgen Latschen und Sträucher, schließlich wandern wir nur noch auf Gras und Erde. Und auf Steinen: Da sind sie ja, die berühmten Glitzersteine!

Der mehrstufige Wasserfall

Die Baumgrenze kommt näher

Heidelbeeren: leider schon aus

Flechten auf einem Glitzerstein

Denkpause

Durch das Kar

Die Radar-Anlagen machen die Orientierung in dem ohnehin schon übersichtlichen Gelände noch einfacher: immer den Kugeln nach! Auf dem Weg nach oben durchschreiten wir das Naturschutzgebiet des Koralm-Kars. Hier würde schon ein improvisiertes Hotel in einer Höhle auf uns warten, aber wir halten durch: ein paar Höhenmeter noch hinauf, ein paar hinunter, und wir erreichen das Koralpenschutzhaus auf 1966 Meter Seehöhe.

Hotel Kar – lieber doch weitergehen!

Nicht mehr lange…

…und die Höhe ist erreicht

Da ist es: das Koralpenschutzhaus!

An der Relais-Station vorbei

Abends auf der Alm

Das Panorama ist mehr als beeindruckend: Am Kamm offenbart sich beinahe eine Rundum-Aussicht, auch auf der Terrasse des Schutzhauses liegt uns ganz Kärnten zu Füßen. Die Sonne geht unter und beschert uns ein wahres Spektakel an Farben und Schattierungen.

Herr bleib bei uns, es will Abend werden.

Diese Bitte finden wir auf einem der Kreuze, die nicht nur den göttlichen Beistand ausdrücken, sondern auch ganz profan den Weg weisen.

Auf dem Koralpenschutzhaus geht es aber nicht gerade besinnlich zu: Die Hütte hat seit wenigen Tagen einen neuen Pächter und das will gefeiert werden – samt Blasmusikkapelle, derben Witzen und Menschen, die auf Tischen tanzen. Wir lehnen uns zurück und beobachten die Szene. Prost!

Hoppala, Humptata!

Ein Sonnenuntergang wie nie

Abendliches Gespräch auf der Terrasse

Gute Nacht!

Ein Morgen am Speikkogel

Am nächsten Morgen treten wir, gestärkt von einem liebevoll hergerichteten Frühstück, den kurzen Weg auf den Gipfel an. Nur eine halbe Stunde dauert es, bis wir am Großen Speikkogel stehen und die Landschaft in alle Richtungen bewundern, während die Radaranlagen unablässig vor sich hin surren. Alleine sind wir dabei nicht: Am Gipfel herrscht ein Kommen, Rasten und Gehen. Ein Gipfelfoto darf dabei natürlich nicht fehlen – genauso wie damals in meiner Kindheit, nur dass wir heute über wesentlich bessere Kameras verfügen und die Bilder auf Instagram landen statt im Fotoalbum. 

Wandern mit meinem Cousin Thomas und einem Murmeltier

25 Jahre später

Gebetsfahnen

 Auf dem Gipfelkreuz prangt die Aufschrift „Bleib deiner Heimat treu“. Dank einer intensiven Auseinandersetzung mit der Kärntner Geschichte – bezeichnenderweise nicht in meiner Kindheit und Jugend, sondern erst auf der Universität – kann ich diesen Spruch historisch einordnen.

Trotzdem (oder deswegen?) ist er problematisch und ich würde lieber etwas anderes hier lesen. Angesichts der viel zu warmen Temperaturen – es ist Ende Oktober und wir sind kurzärmelig unterwegs! – würde sich ein Aufruf zum Klimaschutz anbieten: „Schütze deine Heimat, sonst hast du keine.“ 

Oktobersommer

Die typischen „Steinöfen“ der Koralm

Fast wie am Mars

Von Hühnern und Schafen

Auf dem weiteren Weg kommen uns so viele Menschen entgegen, dass wir mit dem Grüßen gar nicht mehr aufhören: „Servas!“, Griaß di!“, „Hallo!“ Mitunter wirken die Mengen wie ein langer Pilgerzug; tatsächlich kommen wir später an einer Markierung des Jakobwegs vorbei. Davor müssen wir aber noch die steile Hühnerstütze überwinden – die Höhenmeter hinunter sind fast noch anstrengender als die Höhenmeter hinauf.

Eine kleine Rast in der markanten Grillitschhütte ist im Zeitplan glücklicherweise drinnen. Das runde Gebäude mit seinen dicken Mauern erinnert an einen Sakralbau, war aber früher ein Zufluchtsort für Schafhirten. Als Kind habe ich die Grillitschhütte vor allem wegen des sich drehenden Schornsteins geliebt. Eine meiner ersten Wanderungen führte hierher – meine Mutter kann sich bis heute erinnern, dass ich mir alles, jeden Stein und jede Pflanze, ganz genau anschauen musste. Statt zwei oder drei Stunden waren wir den ganzen Tag lang unterwegs!

Grillitschhütte damals…

…und heute!

Pflanzen schauen kann ich immer noch

Weinebene neu

Über den Moschkogel geht es danach weiter bis zur Passstraße auf der Weinebene. Das bedeutet noch einmal 200 Höhenmeter hinauf und wieder hinunter. Konnten wir am ersten Tag Kärnten von oben betrachten, bietet sich jetzt ein Blick über einen guten Teil der Steiermark. Irgendwo unten im Tal ist Helmut aufgewachsen, der in seiner Kindheit einige Male auf der Weinebene schifahren war – etwas, das ich ausgelassen habe. Sonst hätten wir uns vielleicht schon viel früher kennengelernt!

Wir sind beide entsetzt, wie sich die Weinebene seitdem verändert hat: Der Parkplatz ist gefühlt drei Mal so groß geworden und rund um die Gösler Hütte ist ein Chalet-Dorf entstanden. Auch der Windpark auf der Handalm ist eine neue Entwicklung, aber wenigstens eine, die zum Heimatschutz (im weiteren Sinne) beiträgt. Die weithin sichtbaren Windräder versorgen tausende Haushalte mit nachhaltigem Strom. 

Hallo Steiermark!

Her mit dem Wind!

Einsamkeit mit Gämse

Nachdem wir die Straße überquert haben, kommen wir bald zur Paulus-Kapelle, die Weitwandernde zum Innehalten einlädt. Obwohl der Nachmittag schon fortgeschritten ist, bestehe ich auf eine kleine Pause: in Gedenken an meine Oma mütterlicherseits. Sie ist gestorben, als ich noch sehr klein war, aber diesen Ort bringe ich immer mit ihr in Verbindung.

Der Trubel hört hier schlagartig auf. Den letzten Abschnitt, der uns über die Handalm nach Glashütten führt, haben wir fast ganz für uns. Wir schrecken sogar eine Gämse auf, die uns erst lange ansieht, dann uns anknurrt und schließlich im Wald verschwindet. 

Weitwanderer Helmut

Anno dazumal mit der Oma

Achtung, Gämse knurrt!

Kurz bevor wir die Straße erreichen, können wir uns noch in einem kleinen Wasserfall erfrischen und uns umziehen. So versuchen wir einigermaßen zivilisiert unser Glück beim Autostoppen – und tatsächlich nimmt uns noch jemand mit, obwohl es schon dunkel wird. Ein paar Kilometer weiter werden wir wieder entlassen und nehmen für den Rest der Strecke nach Deutschlandsberg ein Taxi.

Helmut schimpft ausgiebig über den nicht vorhandenen öffentlichen Verkehr. Ein Wanderbus verkehrt nur in den Sommermonaten, wenn Schulferien sind. Das erinnert an die 1990er Jahre – heute wäre da schon mehr drinnen! Ein kleiner Trost: In wenigen Jahren können wir mit dem Zug unter der Koralm durchfahren, wenn die Strecke von Graz nach Klagenfurt fertig ausgebaut ist.

Aber nichts schlägt die Erfahrung, über die Koralm zu gehen. Hoffentlich bald wieder!

Bis zum nächsten Wanderwochenende!

Bis bald, Koralm!


Weiterlesen

Das Koralpenschutzhaus: http://www.koralpenschutzhaus.at/ 

Bericht einer anderen Bloggerin über die Tour auf den Großen Speikkogel: https://reisepsycho.com/wanderung-grosser-speikkogel-tourenbericht/

Alle Fotos, auf denen ich zu sehen bin, das Gämsen-Foto und das Titelbild © Helmut


Warst du schon einmal auf der Koralm wandern? Wie war es für dich? Schreibe es gerne in die Kommentare! 

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