Die letzten Jahre waren wirklich nicht einfach. Aber selbst in den schwierigsten Phasen meines Lebens gab es etwas, das mich durch diese Zeiten getragen hat: die Vorstellung, eines Tages mit dem Zug bis in den hohen Norden zu fahren, nach Schweden, Norwegen oder Finnland, wo ich weite Landschaften und viel Ruhe finden würde. Birkenwälder, Nordlichter, kaltes Wasser, viele Hunderte Kilometer Schienenstränge, davon habe ich geträumt, und das jahrelang, in schlechten wie auch in besseren Zeiten.
Vom Traum zum Zug
Als sich im Februar 2022 auf einmal die Möglichkeit auftut, mit dem Zug nach Schweden zu fahren, kann ich es erst kaum glauben. Träume sind zum Träumen da, sage ich meinen Freund*innen, nicht zum Verwirklichen. Sie reden aber mir so lange gut zu, bis ich die Fahrkarten buche. (Danke!) Im Laufe der Vorbereitungen bekommt das Projekt den Namen #Schwedenplan, dabei bleibt es dann auch die ganze Fahrt über.
Schon zwei Wochen später steige ich in den Nachtzug von Salzburg bis Malmö. Es handelt sich dabei um einen privat finanzierten Zug namens Snälltåget („der nette Zug“), gedacht als direkte Verbindung zwischen dem flachen Südschweden und den schneebedeckten Alpen. So gut wie alle Fahrgäste halten sich an diese Intention, wie eindeutig an den Schi im Gepäck erkennbar ist, nur mein Liegewagenabteil nicht: Mit mir sind noch fünf Eisenbahnfreunde unterwegs, die nur um des Zugfahrens willen mit diesem besonderen Zug fahren. Und auch, weil so ein kleiner Wochenendausflug nach Malmö ja nie schaden kann… Unbekannte sind es jedenfalls nicht: Meine Reisegesellschaft kenne ich teils schon von der Reise nach Rumänien letzten Dezember.
Über den Öresund nach Schweden
So geht es also los: Von Zell am See (wo ich zusteige) über Kitzbühel und Wörgl klappert der Zug alle bekannten Schigebiete ab. In Deutschland hat der Zug keinen einzigen Halt, erst im dänischen Padborg können wir wieder ein bisschen frische Luft schnappen, kühle, skandinavische Luft. Am Bahnsteig lädt ein kleiner Park zum Spazierengehen ein, die Reisenden putzen sich die Zähne und machen sich frisch.
Die Landschaft ist längst völlig flach und schneefrei, trotzdem hat die Strecke bis Malmö in den etwa 20 Stunden Fahrzeit (ab Zell am See) einiges zu bieten – allen voran zwei spektakuläre Brücken: die Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal in Rendsburg, Deutschland, und die Brücke über den Öresund, die Dänemark und Schweden miteinander verbindet. Wenige Minuten nach dem Öresund erreichen wir dann gegen 15 Uhr am Nachmittag unser Ziel: Malmö, Malmö in Schweden! Ich weiß nicht recht, ob ich lachen oder weinen soll: So fühlt sich das also an, wenn Träume wahr werden.
Klirr und klar: Malmö
Die südschwedische Großstadt könnte aus einem IKEA-Katalog stammen, so klar strukturiert und aufgeräumt ist sie. Die Innenstadt ist weitgehend verkehrsberuhigt, die Häuser sind herausgeputzt und überall gibt es liebevolle Details zu entdecken. Ein eisiger Wind weht vom Öresund zu uns, aber im Schlosspark blühen schon die ersten Blumen. Hinter einer Windmühle geht malerisch die Sonne unter, der rosa Himmel steht Malmö besonders gut.
In Schweden sehen sogar Neubauten aus wie Design-Klassiker, überall stehen Kunstwerke, Pflanzenkübel und Fahrräder. Die Kaffeehäuser servieren Filterkaffee und Gebäck mit Unmengen an Kardamom und Zimt. Bevor es zu kitschig wird, fahren wir am nächsten Tag – mittlerweile nur noch zu dritt – weiter nach Karlskrona.
Im Schärengarten von Karlskrona
In Karlskrona sind wir aber vor Kitsch nicht gefeit, im Gegenteil: Zahlreiche kleine und größere Inseln umgeben die südschwedische Stadt, sie selbst ist auch auf etlichen Inseln erbaut. Hier ist er also, der Schärengarten von Schweden – Sehnsuchtsort für alle, die in ihrer Kindheit „Ferien auf Saltkrokan“ von Astrid Lindgren gelesen haben. Ich bin überrascht, dass das schwedische Wort für Schärengarten – skärgård – ganz anders ausgesprochen wird als im Deutschen: chärgord!
Auf der winzigen Schäre Stakholmen stehen wir dann inmitten der ganzen Pracht, die Karlskrona zu bieten hat: blaues Wasser, gelbes Schilf, rote Häuser, darüber wölbt sich der strahlend blaue Himmel. Die Schönheit ist kaum zu ertragen, ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Noch schlimmer wird es, als wir über eine Brücke auf die Insel Saltö spazieren und auf einmal inmitten eines berühmten Postkartenmotivs stehen.
Das ruft – ganz klar – nach einem eiskalten Bad. Der Schärengarten will schließlich auch gehegt und gepflegt werden, und was liegt da näher, als in den blauen Wellen eine kleine Runde zu drehen? Der eisige Wind ist herausfordernd, aber das salzige Wasser trägt mich fast von alleine. Danach zittere ich eine Weile, bis wir ein heimeliges Lokal finden, das uns zu den ortsüblichen Preisen (uff…) eine wärmende Mahlzeit bietet. Am Ende dieses Tages bringe ich meine Reisegesellschaft zur Fähre in Richtung Polen (die ich etwa eine Woche später auch nehmen werde), bevor ich dann meine Reise alleine fortsetze.
Einmal quer durch Schweden, bitte!
Am nächsten Tag trete ich dann alleine den langen Weg von Karlskrona via Stockholm nach Umeå an. Auf in den Norden! Insgesamt bin ich von acht Uhr früh bis zehn am Abend unterwegs, zuerst mit einem Bus bis Alvesta und dann per Zug weiter, Stunden um Stunden. Das Erstaunliche ist für mich, dass ich zwar hoch hinauf in den Norden fahre – weiter nördlich war ich noch nie -, aber trotzdem noch lange nicht den nördlichsten Punkt von Schweden erreicht habe.
Schweden ist ein wirklich großes Land, stelle ich fest, als stundenlang Felder, Wälder und Seen an mir vorüberziehen. Sind die Seen anfangs noch blau, verwandeln sie sich nach und nach in weiße, gemusterte Flächen. Die Landschaft bleibt flach und von einer Weite, wie ich sie noch nie erlebt habe. Daran muss ich mich erst gewöhnen. Als ich um zehn Uhr abends im eiskalten, menschenleeren Umeå den Zug verlasse, stehe ich erst einmal vor einer großen Frage: Was mache ich hier ganz alleine und warum?
Umeå, Stadt der Birken
Schon bald ist diese Frage beantwortet – Umeå gefällt mir auf Anhieb. Das erste, was mich beeindruckt, ist die Skulptur Grünes Feuer (auf Schwedisch grön eld) des Glaskunst-Pioniers Vicke Lindstrand. Die drei gläsernen Feuerzungen, die in den sternenklaren Himmel ragen, werden zu meinem ersten Anhaltspunkt in Umeå. Von hier aus geht es geradeaus weiter mitten in die Stadt hinein, allerdings erst am nächsten Tag, nachdem ich mich von der langen Reise erholt habe.
Umeå ist bekannt für seine Birken, und das nicht ohne Grund: An die 3.000 Birken wachsen in der Stadt, meist bilden sie schöne Alleen zwischen den alten und neuen Gebäuden. Nachdem die Stadt im Jahr 1888 großteils abgebrannt ist, wurden Birken als natürlicher Brandschutz gepflanzt: Die Bäume bestehen zur Hälfte aus Wasser. Wie es Birkenallergiker*innen in Umeå geht, finde ich zwar nicht heraus, aber immerhin beginnen die Bäume erst recht spät, ihre Pollen um sich zu werfen. Durch die Nähe zum Polarkreis beginnt der Frühling erst im Mai.
Die Stadt hat aber nicht nur Birken zu bieten, sondern auch Design. Umeå gilt als schwedische Design-Hauptstadt: Zur Universität Umeå gehört ein eigener Kunstcampus, wo sich in Sachen Kunst, Design und Architektur viel tut. Ganz offensichtlich, wie ein Stadtspaziergang schon bald zeigt! Die Mischung aus Alt und Neu erscheint mir in Umeå besonders gelungen, und im Unterschied zu Malmö stehen die feschen Gebäude sogar an einem zugefrorenen Fluss, dem Ume älven.
Ich spaziere über den Fluss und wieder zurück, um das Kulturzentrum Väven aus allen möglichen Perspektiven zu bewundern. Außerdem verbringe ich einen Gutteil des Tages im Bildmuseet, dem örtlichen Museum für internationale Gegenwartskunst. Der Blick aus den hohen Fenstern auf die Stadt und ihre Umgebung macht Umeå selbst zum Kunstwerk!
Eisschollen & Eislöcher
Während sich in Mitteleuropa schon der Frühling ankündigt, hat hier noch der Winter das Sagen. Die weite, flache Landschaft rund um Umeå ist tief verschneit, die Wege sind spiegelglatt und auch die Luft ist noch eisig kalt. Ich bin gespannt, ob das Meer zugefroren ist, und mache an meinem zweiten Tag in Umeå eine ausgedehnte Wanderung in dem Naturreservat Strömbäck-Kont. Als ich schließlich zur Ostseeküste komme, bin ich sprachlos: So viele Eisschollen! So eine Schönheit! Das habe ich noch nicht erlebt.
Auch am nächsten Tag bin ich geblendet von der skandinavischen Natur. Mit einem Bus fahre ich zum nordwestlich von Umeå gelegenen See Tavelsjö. Dort lässt es sich mit einer Mischung aus Schlitten und Eislaufschuhen über die Eisbahn gleiten, die einmal rund um den See führt. Das ist mir aber zu weit; ich schlittere nur bis zu dem gemütlichen Gasthaus Sundlingska Gården, das neben Zimtschnecken, Kaffee und Pizza auch ein wahres Highlight bietet: ein Eisloch!
Das Eisloch befindet sich natürlich nicht im Gasthaus selbst, sondern auf der weiten Eisfläche des Tavelsjö. Mit einer Leiter, deren Sprossen in Filz gewickelt sind, schaffe ich es recht schnell hinein. Ich stehe eine Weile bis zur Brust im eiskalten Wasser; das Eisloch ist gar nicht tief genug, um im offenen Wasser plantschen zu können – so dick ist das Eis. Es ist unendlich kalt, ich betrachte die Eisschollen rund um das Loch und versuche, ruhig weiterzuatmen. Gar nicht so einfach, wenn mir dieses Schweden ständig den Atem raubt!
Der lange Weg nach Hause
Nach drei Tagen in und um Umeå wird es schon wieder Zeit, den Heimweg anzutreten: von Umeå nach Stockholm, von Stockholm nach Karlskrona, von Karlskrona nach Gdynia, von Gdynia nach Danzig, von Danzig schließlich nach Wien. Die Reise streckt sich über mehrere Tage und ist auch so geplant, ich will auf dem Weg in Richtung Mitteleuropa noch einiges erleben.
Lange warten brauche ich jedenfalls nicht: Schon bald nach Umeå, bei einer Stadt namens Örnsköldsvik, färbt sich der tiefschwarze Nachthimmel auf einmal rosa und türkis. Nordlichter! Ich strecke den Kopf noch lange in die eiskalte Luft hinaus und sehe zu, wie wir die bunten Schwaden nach und nach hinter uns lassen. Der Rest der Nacht ist stockfinster, und kaum bin ich eingeschlafen, wache ich auch schon wieder auf und bin in Stockholm angekommen.
In Karlskrona verbringe ich mehr Zeit als geplant, nachdem die Fähre nach Polen Verspätung hat. Insgesamt werden es acht Stunden, die ich am Fährterminal herumhänge und darauf warte, dass es vier Uhr früh wird. Discokugeln und Partymusik sollen mir die Wartezeit verkürzen, aber das hilft nur wenig. Als die Fähre endlich ablegt, schlafe ich tief und fest ein und wache erst wieder auf, als die polnische Halbinsel Hel schon gut zu sehen ist. Dzień dobry, Polen!
In Polen ist alles anders: Die Menschen lachen lauter, der Kaffee schmeckt besser, das Bier ist billiger, und der vor wenigen Tagen ausgebrochene Krieg in der Ukraine ist viel näher als in Schweden. Als ich am nächsten Tag mit dem Zug quer durch Polen und Tschechien fahre, finde ich mich auf einmal inmitten von Menschen wieder, die gerade auf der Flucht sind. Während ich von einer wunderschönen Reise heimkehre, fahren andere ins Ungewisse, begleitet von blau-gelben Zeichen der Solidarität.
Umso dankbarer bin ich, dass ich meinen Traum verwirklichen durfte und nach all den Abenteuern auch wieder sicher nach Hause komme. Allerdings fange ich, sobald ich Wien erreiche, schon wieder an, von Skandinavien zu träumen, von Schären und Birken, von Eisschollen und Nordlichtern…
Hej då, Sverige, bis bald!
Weiterlesen
Die Salzburger Nachrichten berichten über die neue Direktverbindung zwischen Österreich und Schweden: https://www.sn.at/salzburg/chronik/erster-nachtzug-brachte-winterurlauber-aus-schweden-nach-salzburg-116255290
Tipps
https://visitumea.se/en (Infos zu Umeå)
https://www.bildmuseet.umu.se/ (Bildmuseet in Umeå)
https://www.sj.se/en/home.html#/ (Zugverbindungen in Schweden)
https://www.tabussen.nu/ (Busverbindungen in Umeå und Umgebung)
Reiselektüre
Passend zur Landschaft lese ich während der Reise gen Norden den Debütroman von Olga Grjasnowa, „Der Russe ist einer, der Birken liebt“. Das Buch vermag mich nicht zu überzeugen, und das nicht nur, weil die namensgebenden Birken nichts zur Handlung beitragen. Anders bei der Heimfahrt: Voller Begeisterung lese ich „Woher wir kommen“ von Barbara Frischmuth. Große Empfehlung!
Reisedaten
Samstag, 26. Februar 2022
Zell am See ab 18:36
Sonntag, 27. Februar 2022
Malmö an 15:55 (soll) – 15:00 (ist)
Montag, 28. Februar 2022
Malmö ab 11:28
Karlskrona an 14:12
Dienstag, 1. März 2022
Karlskrona ab 8:00 (mit dem Bus)
Alvesta an 10:35
Alvesta ab 10:45
Stockholm an 14:15 (soll) – 14:45 (ist)
Stockholm ab 15:21
Umeå an 21:38
Freitag, 4. März 2022
Umeå ab 21:14
Samstag, 5. März 2022
Stockholm an 06:27
Stockholm ab 08:21
Alvesta an 11:26 (soll) – 13:15 (ist)
Alvesta ab 11:35 (soll) – 13:24 (ist)
Emmaboda an 12:25 (soll) – 14:14(ist)
Emmaboda ab 12:34 (soll) – 14:34 (ist)
Karlskrona an 13:16 (soll) – 15:16 (ist)
Karlskrona ab 21:00 (soll) – 4:40 (ist)
Sonntag, 6. März 2022
Gdynia an 07:30 (soll) – 14:30 (ist)
Montag, 7. März 2022
Gdańsk Główny ab 11:20
Wien Hauptbahnhof an 21:49
Nachreisen nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich empfohlen 🙂
Alle Fotos, auf denen ich zu sehen bin © Helmut
1 Kommentare
Ach, wie schön, dass noch jemand diese lange Zugreise nicht nur auf sich nimmt, sondern auch die Reise selbst als Erlebnis sieht!
Ich bin letzten Sommer mit dem Zug von Bayern nach Stockholm gefahren, und es war absolut fantastisch:
https://andreas-moser.blog/2021/08/22/schlafentzug/
Und wenn man rechtzeitig bucht, ist es sogar richtig günstig. (Vor allem im Vergleich zu jedem direkt in Schweden gebuchten Zug.)