Annäherungen an den Großglockner

von Stadtstreunerin | Eva

3.798 Meter über Seehöhe: eine magische Zahl in Österreich. Sie steht für die höchste Erhebung des Landes, den Großglockner. Höher als 3.798 Meter über dem Meeresspiegel kommen in den engen Grenzen der Alpenrepublik nur Adler, Bartgeier oder Maschinen, die den Flug der Vögel nachahmen. Verständlich also, dass der Großglockner eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt! Seit der Erstbesteigung im Jahr 1800 ist der markante Doppelgipfel mit Groß- und Kleinglockner ein Schauplatz für Mutige, Abenteuerlustige und Waghalsige.

Für mich leider nicht, weil ich keine große Alpinistin bin, aber ich ertappe mich doch immer wieder dabei, wie ich um den „Glockner“ kreise. Ich habe den großen Berg beim Wandern und Schifahren schon von fast allen möglichen Richtungen bewundert: von der Kärntner Saualpe ebenso wie vom Salzburger Kitzsteinhorn, der Schmittenhöhe, dem Stubnerkogel und dem Schattberg. Nur eine Fahrt über die Hochalpenstraße bis zur Kaiser-Franz-Josef-Höhe ist mir bisher entgangen. Wahrscheinlich, weil dort kein Zug hinauffährt…

Blick vom Kitzsteinhorn zum Großglockner (in der linken Bildhälfte)

Ferien wie damals: in Kals

Diesen Winter wurde es Zeit, noch näher an den Großglockner heranzurücken: mit einem Schiurlaub in Kals am Großglockner in Osttirol, unmittelbar an der Grenze zum Nationalpark Hohe Tauern. (Quasi eine winterliche Fortsetzung meines Nationalparkprojekts!) Kals liegt so entlegen, dass wir vom internationalen Tourismus und seinen bizarren Auswüchsen verschont bleiben. Hier wird noch nach alten Werten gelebt und ernsthafter Alpinismus betrieben; zumindest vermitteln uns das die zahlreichen Angebote der Kalser Bergführer:innen. 

Auch in Kals selbst und im benachbarten Großdorf, wo sich das Schizentrum befindet, spiegelt sich dieser traditionelle Zugang wider: Die einzige Après-Ski-Bar des Ortes ist nach Liftschluss fast verwaist, die Ballermann-Hits laufen ins Leere. Kitzbühel-Kitsch sucht man in den paar Geschäften vergeblich; stattdessen werden handgestrickte Socken und heimische Köstlichkeiten angeboten. Aus großen Ställen mitten im Dorf muhen die Kühe, Kinder kümmern sich um Kaninchen in bäuerlichen Gärten, über allem wacht der Gekreuzigte. Der Busfahrer hält inne, als mittags um zwölf die Glocken läuten; die Menschen bedanken sich noch mit den Worten „Vergelt’s Gott“. Das religiös geprägte Alltagsleben in Osttirol ist für uns Stadtmenschen fast ein Kulturschock.

Schifahren in Kals und Matrei

Das Kalser Schigebiet ist trotz seines schicken Namens – „Großglockner-Ressort“ – nicht sehr bekannt. Das liegt auch an der Landschaft: Die wenigen Lifte auf der Kalser Seite sind über mehrere Hänge verteilt, die weit voneinander entfernt liegen; die Pisten sind steil und lang. Erst seit 2008 ist das Schigebiet mit den familienfreundlicheren Abfahrten auf der Matreier Seite verbunden – und seitdem schlagartig das größte Schigebiet in Osttirol. Matrei ist allerdings besser erreichbar und bietet mehr touristische Infrastruktur; im Ortszentrum reiht sich ein großes Luxushotel an das nächste.

In unserer bescheidenen Ferienwohnung in Großdorf bei Kals gibt es weder einen Swimmingpool noch ein Frühstücksbuffet; dafür versorgt uns die über 70-jährige Besitzerin jeden Morgen mit frischen Semmeln und wir haben freie Sicht auf die Berge. Ein Luxus der anderen Art!

Eine versunkene Kirche und viele Sprachen

Zu meinem Entzücken gibt es in Kals auch abseits der Pisten einiges zu entdecken: Besonders gut gefällt mir die Kirche zum heiligen Georg, die mitten am Feld steht und ein wenig versunken wirkt, ähnlich wie der Kirchturm im Reschensee in Südtirol. Am Dorferbach erinnern einige Stockmühlen an das harte Leben von früher; historische Fotos, die in vielen Gasthäusern die Wände schmücken, geben einen weiteren Eindruck von anno dazumal. Auch die jüngere Geschichte hat ihre Spuren hinterlassen: Die Berg- und Talstation des einstigen Einsersessellifts sind nicht abgebaut worden und stehen heute etwas verloren in der Gegend herum. Lost Places mitten im Schigebiet.

Besonders interessant finde ich die Ortsnamen des Tales: Lesach, Lana, Pradell, Staniska, Haslach, Ködnitz, so heißen die kleinen Ortschaften rund um Kals, die teils nur aus wenigen Häusern bestehen. Auch die Berge haben hübsche Namen wie Tschadinhorn, Muntanitz oder Cimaroß. Die slawischen und romanischen Einflüsse sind hier nicht zu übersehen! Ein Einheimischer, Paul Gratz, hat in jahrelanger Kleinarbeit die Flurnamen des Gebiets gesammelt und auf einer großen Tafel veröffentlicht. Plotngrawoasch, Tinkanebene, Riblanbachle, Zeinerwald, Ruzoigraben – eine Landschaft von großer Poesie.

Die Frauen von Kals

Und auch wenn das ganze Tal ein wenig verschlafen wirkt – hier wurde österreichische Geschichte geschrieben: In den 1980er Jahren organisierten sich einheimische Frauen erfolgreich gegen ein geplantes Monsterprojekt, das Kals und das ganze Dorfertal in einen riesigen Stausee verwandelt hätte. Die 215 Meter hohe Staumauer hätte nicht nur den wenige Jahre davor gegründeten Nationalpark Hohe Tauern ad absurdum geführt, sondern auch den gerade entstehenden sanften Tourismus abgewürgt. Den Kalser Frauen haben wir unglaublich viel zu verdanken. Selbst die damaligen Gegner:innen sind heute wohl zumindest insgeheim froh darüber, in einer immer noch weitgehend intakten Kultur- und Naturlandschaft zu leben (die freilich mit dem Klimawandel vor ganz neuen Herausforderungen steht).

Und was ist jetzt mit dem Großglockner? Den habe ich die ganze Woche über nicht zu Gesicht bekommen. Zu dicht waren Wolken und Nebel. Aber die nächste Annäherung kommt bestimmt!


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Reportage über den NP Hohe Tauern: https://www.profil.at/wissenschaft/50-jahre-nationalpark-hohe-tauern-im-groessten-naturschutzgebiet/401438617

Wandern im Nationalpark: https://stadtstreunen.at/nationalpark-hohe-tauern-hoch-hinauf/

Tipps

Öffentliche Anreise: Kals lässt sich gut öffentlich erreichen, im Ort braucht man auch kein Auto. Zuerst muss man nach Huben in Osttirol, von dort aus fahren Busse ins Dorfertal. Huben lässt sich von Lienz oder von Kitzbühel und Mittersill mit dem Bus erreichen. Der Bus von Kitzbühel fährt über zwei spektakuläre Pässe – Empfehlung!

Die Bushaltestelle in Großdorf

Einkehrschwung: Wir können den Temblerhof, das Panoramarestaurant Blauspitz und die Großglocknerblick-Hütte empfehlen. Unbedingt auch die Genusshitten am Parkplatz besuchen – die lokalen Produkte (Brot, Käse, Honig etc.) schmecken fantastisch!

Kultur: Das Dorfmuseum in Kals ist vorübergehend geschlossen. Die Glocknerausstellung mit ihren schönen Mineralien hat im Winter leider nur zu bestimmten Zeiten oder gar nicht offen.

Lektüre: Ich lese „Geschichten vom Dorf. Tiroler Miniaturen“ von Hanna Molden. Die am Buchrücken versprochene „stille Heiterkeit“ der Dorfgeschichten ist mitunter ziemlich abgründig!


Warst du, liebe Leserin, lieber Leser, schon einmal beim Großglockner – oder gar oben? Hinterlasse gerne einen Kommentar mit deinen Erlebnissen oder schreibe mir eine Mail an eva [at] stadtstreunen.at.

Bis bald, Kals!

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2 Kommentare

Monika 3. April 2024 - 22:59

Hallo! Ich war zweimal in der Gegend. In den 1980ern in Kals und auch auf dem Großglockner. Und ein weiteres Mal auf der Franz-Josef-Höhe – als Abschluss einer Hüttentour. Auf einer dieser Hütten habe ich wegen schlechten Wetters 2 – 3 Tage verbracht. An einem dieser Tage wurde sie plötzlich zum Sicherheitstrakt, weil Franz Vranitzky auch eine Bergtour machte.

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Stadtstreunerin | Eva 4. April 2024 - 22:49

Wow, beeindruckend! Danke fürs Teilen deiner Erfahrungen 🙂

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