Das nationalsozialistische Regime ließ zwischen 1940 und 1945 insgesamt 16 Flaktürme in Berlin, Hamburg und Wien errichten, von denen nur die Wiener Flaktürme (erbaut zwischen 1942 und 1945) vollständig erhalten geblieben sind. Ihr ursprünglicher Zweck war es, alliierte Luftangriffe abzuwehren und Luftschutzbunker für die Bevölkerung zu bieten – daher auch ihr Name: „Flak“ ist eine Abkürzung für „Fliegerabwehrkanone“. Erbaut wurden die extrem stabilen und widerstandsfähigen Stahlbetonbauten von Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlingen unter lebensgefährlichen Bedingungen. Flaktürme treten immer in Paaren auf: Auf dem Gefechtsturm befanden sich jeweils vier Zwillingsflakgeschütze, die den Luftraum über der Stadt Wien kontrollierten, und auf dem Leitturm stand, geschützt vom starken Rauch der Flak, ein Radar- bzw. Funkmessgerät namens „Würzburg-Riese“. Die Türme waren mit einer eigenen Energie- und Wasserversorgung ausgestattet und verfügten nicht nur über Luftschutzräume für die Bevölkerung, sondern auch über Krankenstationen und kriegswichtige Betriebe. Die insgesamt sechs Wiener Flaktürme sind in einem Dreieck rund um die Innenstadt angeordnet und gelten heute als die einzigen authentischen baulichen Relikte der NS-Zeit in Wien. Sie sind teilweise Eigentum des Bundes und teilweise Eigentum der Stadt Wien und stehen fast alle unter Denkmalschutz.
Die Flakturmtour
Schon lange hege ich für die Wiener Flaktürme eine seltsame Faszination, die sich aus ihrer Hässlichkeit, Funktionslosigkeit und historischen Tragik zusammensetzt. Und obwohl sie sich mitten in die Stadt gedrängt haben, bieten sie oft nicht viel mehr als eine ungewöhnliche Kulisse für das Alltagsleben. Ihre Unsichtbarkeit bei gleichzeitig maximaler Präsenz ist sicherlich auch auf eine mangelnde Erinnerungspolitik zurückzuführen, die sich mit mehr oder weniger rätselhaften Schriftzügen zufrieden gibt. Umso mehr drängte sich mir schon vor Jahren die Idee für eine Streunertour von Flakturm zu Flakturm auf. An einem bewölkten, ziemlich heißen Montagnachmittag im Juli finde ich endlich die Zeit, diesen Gedenkmarsch der Sonderklasse zu verwirklichen.
Barocke Pracht und Stahlbeton – Die Flaktürme im Augarten
Mein Rundgang startet beim Gefechtsturm im Augarten, der ältesten barocken Gartenanlage Wiens. Mitten in das ehemalige kaiserliche Jagdgebiet ließen die Nationalsozialisten ein Flakturmpaar erbauen, das in bizarrem Kontrast zu den geometrisch angelegten Wiesen und Hecken steht. Der Augarten wurde damals massiv in Mitleidenschaft gezogen, mussten doch auf der Baustelle auch Eisenbahngleise verlegt und Barackensiedlungen gebaut werden. Heute ist der Augarten idyllisch wie eh und je – wären da nicht die beiden Stahlbetonriesen, die in dem noblen Garten immer Fremdkörper bleiben werden.
Der Gefechtsturm im Augarten
Der Gefechtsturm im Augarten ist mit seinen 55 Metern Höhe der höchste der Wiener Flaktürme und galt als der modernste des Dritten Reiches. Hier waren etliche Rüstungsbetriebe untergebracht, die den bombensicheren Turm für die Herstellung von Munition nutzten; bei Luftangriffen dienten einige Stockwerke außerdem als sicherer Bunker für die lokale Bevölkerung, wobei Juden und Jüdinnen, Zwangsarbeiter*innen und anderen verfolgten Minderheiten der Zutritt verwehrt blieb.
Die von außen sichtbaren Schäden gehen auf eine gewaltige Explosion im Herbst 1946 zurück, als spielende Kinder unabsichtlich einen Brand der übrig gebliebenen Flakgranaten auslösten. Ab 2007 wurden erste Sanierungsarbeiten durchgeführt, wobei zwei der ehemaligen Geschützstände – umgangssprachlich „Ohrwascheln“ genannt – abgeschnitten wurden und tonnenweise Taubenkot aus dem Inneren entfernt wurde. Der Plan der Datenfirma DCV, ein Datenschutzzentrum einzurichten, wurde bis heute nicht verwirklicht.
Erst vor Kurzem wurde – bestimmt nicht von offizieller Seite – ein großer Schriftzug angebracht, der die Mahnung „Never again!“ ausspricht. Obwohl der Flakturm nicht zugänglich ist, gelingt es doch immer wieder Einzelpersonen, sich Zutritt zu verschaffen. Eine Stadterkundungsgruppe namens Die 78er ist mehrere Male in den Turm eingestiegen und hat furchterregende Bilder gemacht. Ich begnüge mich damit, die Umzäunung zu umrunden und die prächtige Gstättn zu bewundern, die sich rundherum entwickelt hat.
Weiter auf dem Weg zum Leitturm begegnen mir in den gepflegten Wiesen und Alleen nur wenige Leute. Einige Hunde liegen entspannt auf den Schotterwegen, und im Kinderfreibad wartet eine Wasserrutsche in Form eines roten Elefanten auf begeistertes Publikum. Ich biege um die Ecke und lasse den Chlorgeruch hinter mir. Hinter den hohen Mauern hört man hier die Schüler*innen des jüdischen Lauder Chabad Gymnasiums lachen. Da tauchen auch schon die Umrisse des Leitturms zwischen den Kastanienbäumen auf. Neben einem verwaisten Beachvolleyballplatz ragt er nichtssagend in die Höhe.
Der Leitturm im Augarten
Der 53 Meter hohe Leitturm im Augarten hat sein Aussehen in den letzten 72 Jahren kaum verändert. Zu sehen sind am Dach noch die Verankerungen für das Radargerät, den „Würzburg-Riesen“, der einen Durchmesser von 7,5 Metern hatte. In den dünnen Wänden am oberen Teil des Turms ist ein Durchschuss gut erkennbar, der von einem Artilleriegeschütz der Roten Armee stammt. Die Flaktürme im Augarten wurden zwischen Juli 1944 und Jänner 1945 erbaut, also bereits kurz vor Kriegsende, wobei der Leitturm nicht vollkommen fertig gestellt wurde. So fehlen noch die Stiegen in den Treppenhäusern; auch die Öffnungen an der Seite geben Rätsel auf.
Aber auch abseits der Flaktürme ist der Augarten ein faszinierender Ort, der auf kleinem Raum viel wilde Urbanität bietet. Hinter den gestutzten Hecken schlängeln sich Schleichwege durch das Dickicht, das sich dahinter auftut. Hier wachsen viele der giftigen Aronstäbe, die ansonsten nur selten zu sehen sind. Im hintersten Teil des Augartens versteckt sich das Gelände der Kunsthalle Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (kurz TBA21). Im Garten sind etliche Kunstwerke zu bewundern.
Von Flakturm zu Flakturm, Teil I
Nachdem ich das Gelände des Augartens hinter mir gelassen habe, folgt eine lange Strecke durch dicht verbautes Gebiet. Kein Park unterbricht die Straßen des zweiten Bezirks; nur auf der Heinestraße und auf der Praterstraße kann ich kurzzeitig im Schatten von Alleebäumen spazieren. Es ist so heiß und stickig, dass mir kaum Luft zum Atmen bleibt. Die Flakturmtour fühlt sich hier wie ein Bußmarsch an; ich fühle regelrecht, wie mich die heiße Luft zu Boden drückt. Kurz verschaffe ich mir in einem klimatisierten Supermarkt Pause, dann geht es weiter.
Auf Schritt und Tritt erinnern mich die Straßen hier an ihre jüdische Geschichte, an die Deportation ihrer Bewohner*innen, an die Auslöschung ganzer Generationen und an den Mut jener, die standgehalten haben und dafür sorgen, dass sich die Leopoldstadt weiterhin Mazzesinsel nennen kann. In den Hinterhöfen der engen Gassen hört man das Werken zahlreicher Automechaniker.
Dann überquere ich endlich den Donaukanal und finde mich im dritten Bezirk wieder. Langsam wandelt sich der erstickende graue Himmel in einen blauen, und auch die Umgebung wird angenehmer. Palais mit großen Gärten durchbrechen hier die mächtigen Gründerzeithäuser, Bäume und Parks sorgen für Abwechslung im Einerlei der Straßen und Gassen. Plötzlich tauchen in der Einsamkeit eines heißen Sommertages größere Mengen an Leuten auf und ich weiß, dass das Hundertwasserhaus nicht mehr weit sein kann.
Es ist immer wieder seltsam, sich mitten in Wien als Touristin zu fühlen. Also ziehe ich rasch weiter und schon ein paar Straßenzüge später stoße ich direkt auf den Eingang zum Arenbergpark.
What if we lost our minds – Die Flaktürme im Arenbergpark
Ich umrunde zunächst den Gefechtsturm im Arenbergpark, der nur wenige Meter vom Leitturm entfernt steht. Nirgendwo sonst stehen die beiden Flaktürme so nahe beieinander; noch viel stärker als im Augarten drängen sie sich in das Alltagsleben, das sich in dem kleinen Arenbergpark abspielt.
Der Gefechtsturm im Arenbergpark
Der 42 Meter hohe Gefechtsturm im Arenbergpark war der erste der Wiener „Schutz- und Trutzfestungen“, wie die Flaktürme in der NS-Diktion genannt wurden. Im Dezember 1942 wurde mit den Arbeiten an dem Stahlbetonklotz in unmittelbarer Nähe zu den umliegenden Häusern begonnen; unzählige Zwangsarbeiter*innen trugen dazu bei, ihn bis Oktober 1943 fertigzustellen. In seinem Inneren fanden nicht nur die obligatorischen Schutzräume Platz, sondern auch Rüstungsbetriebe, die Gaupropaganda und ein moderner Operations- und Röntgenraum.
Seit einigen Jahren ist der Gefechtsturm an das Museum für angewandte Kunst vermietet, das einen Teil als Depot für sperrige Kunstobjekte und als Fläche für zeitgenössische Installationen nützt. Leider ist das Depot aufgrund „unvorhergesehener Sanierungsarbeiten“ seit 2011 bis auf Weiteres geschlossen.
Allerdings sind die wirklich interessanten Details, wie die einstigen Geschützstände, die Rohre des Munition-Kettenaufzuges und Überreste der Belüftungs- und Heizsysteme, ohnehin nie für die Öffentlichkeit zugänglich gewesen. Auch zahlreiche Aufschriften wie Nicht sprechen! oder Ruhe bewahren! sind hier noch erhalten.
Der Gefechtsturm ist ein Flakturm zum Angreifen: kein Zaun, kein Verbotsschild hält davon ab. Direkt vor seinen Mauern spielen Kinder in der Sandkiste, tollen herum, lassen sich schaukeln und sorgen dafür, dass der gestreifte Stahlbeton ein Stück Normalität ist. Mehr oder weniger kunstvolle Graffitis schmücken die meterdicken Außenwände des Gefechtsturms.
Der Leitturm im Arenbergpark
Auch der benachbarte Leitturm im Arenbergpark, der mit seinen 39 Metern Höhe der niedrigste der Wiener Flaktürme ist, wird ohne Berührungsängste in das Leben eingebaut. So finden sich an seinen Mauern ein Gemeinschaftsgarten ebenso wie eine Hundeauslaufzone. Im Erdgeschoß befindet sich seit 1992 ein Gerätelager des Stadtgartenamts, dessen Mitarbeiter mich zum Spaß fragen, ob ich sie gerne fotografieren würde.
Viel interessierter bin ich aber an einem kaum noch erkennbaren Schriftzug, den entfernte Efeuranken preisgegeben haben: Über einem der verschlossenen Eingänge prangt die Aufschrift „Nur Wehrmacht“.
Das Innere des Leitturms sorgte in der Vergangenheit für spektakuläre Funde: Hier wurden u. a. Zeichnungen und Aufschriften von Zwangsarbeiter*innen und Schutzsuchenden gefunden, Steuerbescheide, Zeitungen, Märchenbücher und holzgeschnitztes Kinderspielzeug. Auch Originalpläne, Belege und private Kalender des Flakturm-Architekten Friedrich Tamms, der im Leitturm sein Büro hatte, wurden in den Tonnen von Schutt gefunden.
Ohne weitere Erklärung steht hingegen eine Aufschrift auf der Seite des Leitturms, deren Aussage trotz intensiven Nachdenkens rätselhaft bleibt.
Aber immerhin verraten Schilder im Arenbergpark, was es mit den beiden Türmen auf sich hat:
Die in diesem Park errichteten Stahlbetontürme wurden von ZwangsarbeiterInnen verschiedener Nationalität während des 2. Weltkrieges 1942/1943 errichtet. Neben der Fliegerabwehr und der Unterbringung kriegswichtiger Betriebe dienten diese Flaktürme auch als Luftschutzräume für die Bevölkerung. In erster Linie waren diese autoritären Bauten Ausdruck der NS-Propaganda, ihr militärisches Konzept war schon zu Baubeginn überholt. Heute erinnern diese baulichen Relikte, als düstere Mahnmale, an den Vernichtungskrieg und die massenhafte Ausbeutung, Entwürdigung und Ermordung von Menschen im Nationalsozialismus.
Trotzdem höre ich einer Konversation auf der Straße zu, in der in etwa Folgendes besprochen wird: „Weißt du, was das für ein Turm ist?“ – „Nein, aber irgendwas mit dem Krieg wird er schon zu tun gehabt haben.“
Von Flakturm zu Flakturm, Teil II
Zwischen dem Arenbergpark und dem nächsten Flakturmpaar wartet ein langer, aber besonders interessanter Abschnitt auf mich. Ohne genaue Route schlage ich mich durch die Straßen des dritten Bezirkes, bis mich plötzlich von der Weite die goldenen Kuppeln der Russisch-Orthodoxen Kathedrale zum heiligen Nikolaus blenden. Ich beschließe, einen Abstecher in das Botschaftsviertel zu machen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, lasse ich mich anschließend durch den Botanischen Garten treiben und bewundere Glashäuser und Kakteen. Und schon bin ich beim Oberen Belvedere und damit beim klassischen Canaletto-Blick auf Wien angelangt.
Spätestens nach dem Belvedere merke ich, wie meine Kräfte langsam nachlassen. Zeit für ein paar Pausen, denke ich, und kaufe mir bei einem Obst- und Südfrüchte-Stand auf der Wieden einen perfekten Pfirsich. Ein paar Straßenzüge weiter verlockt ein Eissalon zu einem kurzen Aufenthalt. So fließt die Zeit träge dahin; der Bußmarsch hat sich längst zu einem gemütlichen Spaziergang durch die Stadt gewandelt. Ich komme am Mittersteig und dem hübschen, aber längst verwahrlosten Jugendstiltheater vorbei, das nach seinem letzten Besitzer, einem Designshop, Mala Strana (Kleinseite – eigentlich ein Stadtteil von Prag) heißt. Seit Jahren steht das Gebäude mit seiner bunten Geschichte – es war u. a. schon Bordell, Boxstudio, Kino und Lagerhalle – leer und wartet auf bessere Zeiten.
Zerschmettert in Stücke? – Die Flaktürme in Bobotown
Nach der Überquerung des Wientals geht es steil bergauf, aber schon kurze Zeit später bin ich beim Leitturm im Esterházypark angekommen. Das dritte Flakturmpaar hat die Besonderheit, dass die beiden Türme in unterschiedlichen Bezirken stehen: Der Leitturm steht in Mariahilf (6. Bezirk), der dazugehörige Gefechtsturm steht am Neubau (7. Bezirk).
Der Leitturm im Esterházypark
Beim 47 Meter hohen Leitturm im Esterházypark wurde keine Mühe gescheut, um den Betonklotz auf moderne Art zu nutzen: Ein großer Teil wird vom Haus des Meeres mit seinen riesigen Aquarien genützt, das 2015 den Turm um einen symbolischen Euro erwarb. Eine Außenfassade wurde vom Alpenverein zu einer Kletterwand adaptiert, und in dem ehemaligen Luftschutzbunker auf der Seite befindet sich das Foltermuseum.
Damit ist er derzeit auch der einzige der breiten Öffentlichkeit zugängliche Flakturm; im zehnten Stock gibt es sogar eine Ausstellung namens „Erinnern im Innern“, in der zweimal täglich Führungen zur Geschichte des Turms angeboten werden. Der Denkmalschutz wurde 2003 aufgehoben, was verschiedene Anbauten und Pläne für „einladendere“ Fassadengestaltungen ermöglicht.
Zwischen spielenden Kindern, kletternden Menschen und biertrinkenden Punks ist die Kriegsrealität hier kaum erahnbar. Mindestens genauso schwer fällt allerdings auch die Vorstellung, dass es hier früher mal einen eleganten Park mit Palmenhaus und schöner Halle gab, die allesamt beim Turmbau zerstört wurden.
Oberhalb der ehemaligen Geschützstände befindet sich seit 1991 eine weithin sichtbare Aufschrift: Zerschmettert in Stücke (im Frieden der Nacht) / Smashed to pieces (in the still of the night). Angebracht wurde sie im Rahmen der Wiener Festwochen nach einer Idee des amerikanischen Konzeptkünstlers Lawrence Weiner.
Schon lange denke ich darüber nach, was diese Aufschrift bedeuten mag – angesichts der durchdringenden Alarmsysteme wurde wohl kaum ein Gebäude „im Frieden der Nacht“ zertrümmert, und die Flaktürme schon gar nicht. Rätselnd ziehe ich weiter und gelange in die überaus belebte Mariahilfer Straße, auf der gerade ein Straßenkünstler sein Publikum in Bann zieht. Nicht weit dahinter verbirgt sich geschickt der mächtige Gefechtsturm am Neubau.
Der Gefechtsturm in der Stiftskaserne
Der Gefechtsturm in der Stiftskaserne befindet sich inmitten hipper Geschäfte und netter Cafés und wird trotzdem so gut wie gar nicht wahrgenommen. Gebaut wurde der 45 Meter hohe Turm hinter die dicken Mauern der Stiftskaserne, in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt. Die unterschiedliche Höhe der Flaktürme ergibt sich übrigens aus den unterschiedlichen Niveaus, auf denen sie erbaut wurden – sodass ihre Geschützstände insgesamt alle auf der gleichen horizontalen Linie positioniert sind.
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die amerikanischen Besatzungssoldaten den Gefechtsturm und blieben dort bis 1955 einquartiert. Aus dieser Zeit sind noch englische Aufschriften an den Betonmauern erhalten.
Der Gefechtsturm wird heute als einziger Flakturm nach wie vor militärisch genutzt und ist daher nicht zugänglich. Hier befindet sich nicht nur der Kommandobunker des Bundesheeres, sondern auch der Schutzbunker für die Bundesregierung. Im Katastrophenfall laufen in der hier angesiedelten Schaltzentrale alle Stränge zusammen. Unterirdische Gänge verbinden den Turm, der schon zu NS-Zeiten eine Schutzfunktion für die Stadtregierung innehatte, mit dem Parlament und dem Westbahnhof.
Seiner Funktion entsprechend wird der Gefechtsturm gut nach außen hin abgeschirmt. Allerdings kann man, wenn man darauf achtet, die obersten Stockwerke von verschiedenen Punkten aus trotzdem sehen: etwa von der Hofburg aus oder vom Gelände des biedermeierlichen Spittelbergs, das ich am Weg zurück zum Augarten durchquere.
Von Flakturm zu Flakturm, Teil III
Kaum habe ich den Spittelberg passiert, komme ich am Mechitaristenkloster vorbei, das hinter seinen Mauern eine der bedeutendsten armenischsprachigen Bibliotheken weltweit versteckt. Ich durchquere die bürgerliche Josefstadt, wo ich mir im Vorbeigehen die Auslagen allerhand feiner Geschäfte anschauen kann. Plötzlich stolpere ich über einen der zahlreich verbliebenen Notausstiege mit der Aufschrift „Mannesmann Luftschutz“, die zur Rettung verschütteter Personen über den Luftschutzkellern der Stadt gebaut wurden. Die Düsseldorfer Mannesmannröhren-Werke stellten Stahlrohe mit Eisensprossen her, auf denen man aus dem Keller hinausklettern konnte, wenn alle anderen Ausgänge blockiert waren; das Unternehmen erlebte – wenig verwunderlich – eine wirtschaftliche Blüte während des Krieges.
Schließlich lande ich am Alsergrund, den ich von meiner Studienzeit gut kenne. Damit sind mir verschiedene Schleichwege durch das alte AKH und den Schwarzspanierhof vertraut. Auch im alten AKH wandere ich entlang eines weiteren Relikts aus der NS-Zeit: Die heutige Küche der Stiegl Ambulanz wurde während des Krieges als Operationsbunker genutzt, in dem selbst bei Bombenangriffen dringend notwendige chirurgische Eingriffe getätigt werden konnten.
Vor der Servitenkirche ist das Abendlicht so schön, dass ich noch mal eine Pause einlege, bevor es über den Donaukanal zurück in den zweiten Bezirk geht.
Abendstimmung im Augarten
Kurz vor Sonnenuntergang zeigt sich die Stimmung im Augarten versöhnlich. Auf den Schotterwegen zwischen den Kastanienbäumen wird Pétanque gespielt, Gäste schauen mitgerissen einer Partie am Beachvolleyballplatz zu und auf der Wiese sitzen Leute in Kleingruppen zusammen und essen Kuchen.
Bleibt die Frage offen, warum die Flaktürme noch immer existieren. Einer These zufolge bedienten sie den lange gepflegten Opfermythos Österreichs, da sie daran erinnern, dass auch die Zivilbevölkerung in das Kriegsgeschehen involviert war. Der Flakturmarchitekt selbst, Friedrich Tamms, sprach von unzerstörbaren „Schieß-Domen“, die nach dem erhofften Sieg in prächtige Tempel verwandelt werden würden. Für das Ausarbeiten genauerer Pläne zur Nachnutzung blieb allerdings zu wenig Zeit. Dennoch erhielt Tamms noch in den 1970er Jahren das Ehrendoktorat der TU Wien; seine Verdienste beim Flakturmbau wurden dabei mit keinem Wort erwähnt.
Tatsächlich scheinen Tamms Türme unzerstörbar zu sein: Lange hieß es, die Flaktürme könnten aufgrund der Nähe zur städtischen Bebauung nicht gesprengt werden. Der technische Fortschritt würde dies mittlerweile zwar ermöglichen, aber es scheint, als hätten sich alle mit ihrer Anwesenheit abgefunden. Auch erinnerungspolitisch haben die Flaktürme keinen eindeutigen Platz im kollektiven Gedächtnis zugewiesen bekommen. So bleiben die gigantischen Betonmonolithe weiterhin ein seltsam unpräsenter Teil des Wiener Stadtbildes.
Fazit
Weg: Augarten > Castellezgasse > Klanggasse > Heinestraße > Vereinsgasse > Glockengasse > Rotensterngasse > Praterstraße > Czerningasse > Körnergasse > Schwemmgasse > Untere Donaustraße > Franzensbrücke > Radetzkystraße > Obere Weißgerberstraße > Obere Viaduktgasse > Löwengasse > Geologengasse > Geusaugasse > Kübeckgasse > Erdbergstraße > Wassergasse > Neulinggasse > Arenbergpark > Dapontegasse > Ungargasse > Neulinggasse > Rechte Bahngasse > Jauresgasse > Reisnerstraße > Praetoriusgasse > Botanischer Garten > Belvedere > Karolinengasse > Belvederegasse > Rainergasse > Schaumburgergasse > Wiedner Hauptstraße > Große Neugasse > Rubenspark > Mostgasse > Mittersteig > Ziegelofengasse > Margaretenstraße > Wehrgasse > Eggerthgasse > Esterházypark > Nelkengasse > Mariahilfer Straße > Stiftskaserne > Stiftgasse > Siebensterngasse > Spittelberggasse > Gardegasse > Mechitaristengasse > Lange Gasse > Schönbornpark > altes AKH > Beethovengasse > Schwarzspanierhof > Schwarzspaniergasse > Berggasse > Servitengasse > Grünentorgasse > Hahngasse > Mosergasse > Roßauer Lände > namenloser Steg > Schölzgasse > Obere Augartenstraße > Augarten
Strecke: 18 Kilometer
Zeit: 4,5 Stunden (reine Gehzeit)
Urteil: Ein Gedenkmarsch und Stadterkundungstrip der absoluten Sonderklasse.
Literaturquellen
Bauer Ute (2003): Die Wiener Flaktürme im Spiegel österreichischer Erinnerungskultur. Wien: Phoibos Verlag
Bouchal Robert, La Speranza Marcello (2012): Wien. Die letzten Spuren des Krieges. Relikte & Entdeckungen. Wien / Graz / Klagenfurt: Pichler Verlag
Zum Weiterlesen und -schauen
Ein Betonmonster namens Flieder – ein Ausflug zum Bunker in der Floridsdorfer Gerichtsgasse.
Mehr Fotos von den 78ern gibt es hier und hier und hier.
Innenansichten vom Mala Strana Theater gibt es hier.
Disclaimer
Dies ist keine Aufarbeitung, die wissenschaftlichen Kriterien genügt!
Etwaige Unrichtigkeiten bitte hier melden.
4 Kommentare
Ich bin im ‚zweiten Hieb‘ aufgewachsen, wir hatten im Augarten Zeichenunterricht – der Flakturm als Motiv.
Meine Oma war bei einem Fliegeralarm einmal im Inneren. Ihre Worte: „Wir gingen Schritt für Schritt in einer endlos erscheinenden Menschenschlange bergauf. Ich bin an kein ‚Ende‘ gekommen. Der Alarm war vorbei, wir alle haben langsam begonnen, wieder zum Ausgang zu gehen. Ohne Worte, eigentlich fast lautlos.“
Danke für diesen Beitrag!
Liebe Grüße, Michaela
Jetzt musste ich lachen – als Schülerin des Amerlinggymnasiums genau dasselbe: Esterhazy-Park-Flakturm als Aufgabe im Zeichenunterricht!
Hallo Eva,
danke für diesen spannenden Artikel. Eine Ergänzung möchte ich hier deponieren: Über dem Eingang des Leitturms im Arenbergpark steht nicht nur „Nur Wehrmacht“, sondern sogar „Nur Wehrmacht in Uniform“, wobei die letzten beiden Wörter klein unter „Wehrmacht“ stehen.
Hallo Thomas! Vielen Dank für diese wichtige, durchaus aussagekräftige Ergänzung – und dafür, dass ich durch den Kommentar auf deinen faszinierenden Blog https://www.worteimdunkel.at/ gestoßen bin! Liebe Grüße, Eva