Weiter wandert’s! Das Nationalparkprojekt – die Idee, in allen sechs österreichischen Nationalparks wandern zu gehen – findet nach einem dreiviertel Jahr Pause eine Fortsetzung der Superlative. Der Nationalpark Hohe Tauern ist der älteste, höchstgelegene, eindrucksvollste Nationalpark in Österreich – und der größte: Eine Querung an zwei Tagen, wie wir das im Nationalpark Kalkalpen und im Nationalpark Thayatal versucht haben, geht sich hier nicht aus. Also planen Helmut und ich die Wanderung danach, welche Region gut öffentlich erreichbar ist und welche Hütte noch freie Plätze hat.
So kommt es, dass wir an einem Wochenende im August vom Rauriser Tal ins parallel gelegene Gasteiner Tal wandern und auf dem Niedersachsenhaus auf 2.471 Meter Höhe übernachten. Die Hütte thront spektakulär mitten auf der Riffelscharte und liegt genau an der Grenze des Nationalparks. Auch für mich hält die Wanderung so manche Grenzerfahrung bereit – ich sage nur: fast 1.400 Höhenmeter Aufstieg, über 1.000 Höhenmeter Abstieg.
Der Nationalpark Hohe Tauern
- Größe: 1.856 Quadratkilometer
- Gründung: 1981
- Bundesland: Salzburg, Tirol, Kärnten
- Besonderheiten: erster Nationalpark Österreichs und größter Nationalpark der Alpen; über 300 Berggipfel mit über 3.000 Meter Seehöhe, rund 155 Quadratkilometer Gletscherfläche, über 700 Moore; Heimat von Gämsen, Adlern, Murmeltieren und Steinböcken
- Mehr Informationen: https://hohetauern.at/de/
Höhenmeter, Höhenmeter!
Am ersten Tag – es ist ein Samstag – verlassen wir das Basislager in Saalfelden um kurz vor acht Uhr morgens. Wir haben keine echte Wahl: Nur ein einziger Bus fährt vormittags vom Bahnhof Taxenbach-Rauris hinauf in das hochgelegene Tal, das ich von den Rauriser Literaturtagen her gut kenne. Beim Gasthaus Bodenhaus kurz vor dem Talschluss gibt’s noch einen schnellen Kaffee, bevor wir den roten Herzen folgen, die als Wegweiser zur Mitterastenalm dienen.
Am Weg dorthin kommen wir bei so mystischen Orten wie dem Rauriser Urquell und dem Waldgeheimnis vorbei, einem kleinen, dunklen See, der sich periodisch bildet und dann wieder versickert.
Die Mitterastenalm lädt nach den ersten 500 Höhenmetern zur wohlverdienten Rast ein. Entgegen ihrem Namen haben wir hier aber noch längst nicht die Mitte unseres Weges erreicht! Wir gehen danach lange über Wiesen und durch Wälder bis zur Filzenalm und genießen die Ausblicke auf die umliegenden 3000er. Markant ist dabei der Hohe Sonnblick, auf dessen Spitze ein Observatorium eingerichtet ist. Diese im Jahr 1886 erbaute Forschungsstation fasziniert mich schon lange. Ob ich es je schaffen werde, so hoch hinaufzusteigen?
Fürs Erste reicht mir – definitiv – der Anstieg auf das Niedersachsenhaus: Weitere 700 Höhenmeter sind zum Abschluss der Tagesetappe noch zu bewältigen. Wir gehen auf schmalen Pfaden über die Almwiesen, weichen da und dort Kühen aus und kühlen unsere Fußsohlen in einem eiskalten Bach. Die Hütte ist schon lange in Sichtweite, kommt jedoch nicht und nicht näher. Auf die letzten paar Meter ist noch eine echte Steilstufe zu überwinden, aber dann! Dann stehen wir am Grat und schauen rechts hinunter ins Gasteiner Tal, links hinunter ins Rauriser Tal, gegenüber die Gletscher, und ringsherum nur Berge, Berge überall!
Am Grat übernachten
So hoch wie auf dem Niedersachsenhaus habe ich noch nie übernachtet. Überhaupt habe ich es aus eigener Kraft noch nie so weit hinauf geschafft! Meine Erwartung, die Nacht schlotternd vor Angst zu verbringen – immerhin geht’s auf fast allen Seiten bergab – tritt nicht ein. Eigentlich fühle ich mich im Inneren der Hütte sogar recht wohl: Wir bekommen ein dreigängiges Menü serviert, spielen eine Runde Mikado und plaudern mit den Tischnachbar:innen. Viele sind aus Deutschland angereist und fühlen sich hier fast wie zuhause: Die Mehrbettzimmer sind nach niedersächsischen Städten wie Hannover oder Goslar benannt. Wir sind in Hildesheim untergebracht und legen uns recht früh nieder. Viel gibt es nicht mehr zu tun, nachdem die Sonne untergegangen ist. Bald folgt ihr noch die dünne Mondsichel, und dann wird es finster in den Bergen.
Ferner, die Gletscher
Der nächste Tag beginnt umso zeitiger: Durch das Geraschel im Lager werde ich schon vor Sonnenaufgang wach. Viele, die auf dem Niedersachsenhaus übernachten, besteigen am nächsten Tag in aller Früh einen der ringsum liegenden Gletscher. Auf den gar nicht mal so alten Bildern, die in der Hütte aufgehängt sind, erkennen wir deutlich den Rückgang der lockenden Eisflächen. Während ich dabei zuschaue, wie die Berge von der aufgehenden Sonne rosa eingefärbt werden, fällt mir ein, dass in anderen Gebieten in Österreich die dahinschmelzenden Gletscher noch touristisch ausgeschlachtet werden. Der Nationalpark Hohe Tauern ist zwar schon riesig, könnte aber gerne noch sehr viel größer werden!
Tiefe Blicke
Schon um halb acht schultern wir die Rucksäcke und machen uns auf den Weg: Über die Bockhartscharte und den Bockhartsee steigen wir nach Sportgastein ab. Der direkte Weg hinab ins Tal ist deutlich kürzer, aber dann wären wir ja viel zu früh wieder unten! Zuerst führt uns der Weg den Grat der Riffelscharte entlang. Ab und zu drehe ich mich um und sehe, wie unser heimeliges Quartier immer kleiner wird.
Dann folgt eine anspruchsvolle Passage: War die Gratwanderung schon nicht ganz einfach für mich, geht es nun steil bergab und ich werfe einen etwas zu tiefen Blick hinunter in einen Graben. Etwa 100 Höhenmeter bin ich nur damit beschäftigt, den Schwindel in den Griff zu bekommen. Ein paar Dohlen fliegen über uns hinweg – sie tauchen oft genau dann auf, wenn ich mich in der Landschaft verliere. Wie schwarze Ankerpunkte kreisen sie eine Zeit lang in meiner Nähe und begleiten mich dabei, wie ich mir immer wieder sage: „Der Boden trägt mich, die Schwerkraft hält mich, und ich atme.“
Ein Spielplatz der Natur
Mit abnehmender Höhe bekomme ich wieder besser Luft – sehr hilfreich beim Atmen! Zunehmend entspannter passieren wir die Kolmkarscharte und gehen links am Seekopf vorbei. Von hier sehen wir hinunter zur Filzenalm, bei der wir gestern noch ahnungslos Gugelhupf gegessen haben. Die nächste Landmarke ist die Bockhartscharte mit dem tief darunter liegenden Bockhartsee. Hier begegnen wir erst einem Murmeltier, dann anderen Wander:innen, die von Sportgastein aufgestiegen sind.
Den wunderschönen Bergsee haben wir dennoch fast für uns alleine: Am sandigen Ufer legen wir eine Pause ein, schwimmen eine Runde in den glitzernden Wellen und beobachten die Fische, die sich im seichten Wasser sonnen. Ich nütze die Gelegenheit, um meine bisher gesammelten Steine zu bewundern: vor allem den kleinen Bergkristall, den ich kurz nach der Mitterastenalm am Wegesrand gefunden habe.
Der weitere Weg führt uns durch eine Spielwiese der Natur: Wir folgen dem Bach, der aus dem Bockhartsee entspringt, durch eine Landschaft aus Sümpfen, Wasserfällen und Felsen. Hier lassen sich noch Überreste eines historischen Bergwerks erkennen, darunter Stollen und Fundamente. Was muss das für eine harte Arbeit gewesen sein! Eine rezentere technische Leistung stellt der Untere Bockhartsee dar, ein künstlich angelegter Speicherteich. Hoch über seinen Ufern erreichen wir die bewaldete Zone: Zunächst sind es hauptsächlich Erlen, die uns Schatten spenden, und bald die ersten Nadelbäume.
Steil ins Tal
Die letzten paar Höhenmeter hinunter nach Sportgastein geraten noch einmal zu einer Übung in Geduld: Der Abstieg ist sehr steil, der Weg schmal und ständig kommen uns Leute entgegen – meistens ein Hinweis darauf, dass der nächste Parkplatz nicht allzu weit entfernt ist. Tatsächlich besteht Sportgastein hauptsächlich aus einem Parkplatz, auf dem ich mich sofort und sehr heftig in die weitgehend unberührte Natur zurücksehne. Ein Bus verkehrt hier aber auch und bringt uns nach Bad Gastein, wo wir am kaiserlichen Bahnhof auf den nächsten Zug warten. Die Berge begleiten uns noch lange auf unserer Heimreise.
Bis zum nächsten Wanderwochenende!
Weiterlesen
Das Nationalparkprojekt, Teil 1 – der Nationalpark Kalkalpen: https://stadtstreunen.at/nationalpark-kalkalpen-die-wilde-mitte-oesterreichs/
Das Nationalparkprojekt, Teil 2 – der Nationalpark Thayatal: https://stadtstreunen.at/nationalpark-thayatal-eine-grenze-im-fluss/
Warst du schon einmal im Nationalpark Hohe Tauern wandern? Wie ist es dir dabei „ergangen“? Schreibe es gerne in die Kommentare!