An diesem Sonntagmorgen Anfang April bläst uns ein eiskalter Wind von einem grauen Himmel entgegen. Wien erscheint uns trüb und langweilig, der Sommer ist noch weit weg. Aber um die Zeit bis zu mehr Wärme und mehr Farbe zu verkürzen, gibt es ja glücklicherweise Mittel und Wege. Wege vor allem!
Helmut und ich entscheiden uns diesmal – nach Rumänien und Schweden – für einen Weg nach Olmütz (tschechisch Olomouc), ins Herz Tschechiens: Olmütz liegt etwas links der Mitte. Die mäßig gute Zugverbindung (mit einer Stunde Aufenthalt in Přerov) erlaubt uns, in gleich zwei Speisewägen zu frühstücken, zuerst österreichisch, dann ungarisch. Es ist wohlig warm im Zug, Kaffee und Palatschinken trösten uns über den winterlichen Tag hinweg.
Lange hält das Wohlgefühl aber nicht an, sieht man doch vom Zug aus nur allzu deutlich die Schäden, die ein Tornado letzten Sommer in Tschechien verursacht hat. Ganze Reihen von Bäumen sind umgeknickt, beinahe jedes Haus hat ein neues Dach bekommen. Der Klimawandel kann selbst hier, in der idyllischen Hügellandschaft mitten in Europa, nicht mehr ausgeblendet werden.
Das schlafende Herz
In Olmütz selbst ist es dann nicht viel aufregender als in Wien. Die sechstgrößte Stadt Tschechiens mit ihren immerhin 100.000 Einwohner*innen wirkt an diesem Tag ziemlich verschlafen: Viele Lokale haben geschlossen, kaum jemand ist auf den Straßen unterwegs. Nur im mächtigen Wenzelsdom hat sich eine kleine Gruppe versammelt, um bei jeder Kreuzwegstation ein Gebet zu raunen und ein Lied zu singen.
Über den Hauptplatz treiben einzelne Schneeflocken, Turmfalken kreischen in der Luft, der Brunnen mit den Schildkrötenskulpturen wartet geduldig auf Wasser. Neben dem beeindruckenden Rathaus stehen ein paar leere Holzhütten vom Weihnachtsmarkt, bereit für ihren nächsten Einsatz beim Ostermarkt: ein schönes Sinnbild für die ruhige Zeit zwischen den Festen.
Wie nahe der Krieg ist
Während in Olmütz die Zeit stillzustehen scheint, tobt nur wenige hundert Kilometer ostwärts ein brutaler Krieg. Die Tschech*innen wissen, wie sie dazu stehen: Überall finden wir blau-gelbe Schleifen und Plakate. Auf dem Hauptplatz ist groß zu lesen: Русский военный корабль, иди на хуй! Mittlerweile ist besagtes russisches Kriegsschiff untergegangen, die Beschwörung hat also geholfen.
Ich denke darüber nach, wie politische Entwicklungen das Stadtstreunen beeinflussen: zuerst die Auswirkungen der Corona-Pandemie, nun der Krieg in der Ukraine. In der Stadt spiegelt sich alles, selbst wenn nichts los ist.
Bier geht immer – und überall
Trotz dieser Entwicklungen – Klimawandel, Krieg und nebenbei auch noch Corona – bringt uns Olmütz zum Lachen: Erfroren kehren wir in einem typisch tschechischen Bierlokal ein, in dessen Keller ein Bier-Spa – auf Tschechisch Pivní lázně –untergebracht ist. Auf Bierdeckeln wird dafür mit einem Bild von zwei Frauen geworben, die in Badewannen liegen und sich mit einem großen Glas Bier zuprosten. Nach dem Essen sind wir aber leider, leider zu satt, um das Bier-Spa auszuprobieren. Schade!
Der Frühling kommt
Zum Abschluss lädt uns die Stadt noch ein, durch ihren schönen Park zurück zum Bahnhof zu spazieren. Ein kleiner Bach mit erstaunlich starker Strömung, der Mlýnský potok (Mühlbach), teilt den Park in zwei Hälften. Wenn wir genau hinschauen, können wir hier schon die ersten Knospen erkennen. Die Bäume treiben aus, der Frühling kündigt sich an, Schneeflocken hin oder her. Mit einer neuen Zuversicht, die der nahende Frühling mit sich bringt, fahren wir abends wieder zurück nach Wien.
Na shledanou, Olomouc!
Tipps
Wer das Baden mit/in Bier ausprobieren mag: https://www.wellness-romantika.cz/pivni_lazne_olomouc.html
Reiselektüre
Bei der Rückfahrt lese ich im dritten Teil der neapolitanischen Saga von Elena Ferrante weiter – „Die Geschichte der getrennten Wege“. Mittlerweile habe ich schon deutlich mehr als 1.000 Seiten über die Freundschaft zwischen Elena und Lila gelesen, bin aber noch gar nicht müde davon. Trotzdem: Wenn ich dann mal den vierten und letzten Teil gelesen habe, belohne ich mich mit einer Reise nach Neapel!
Reisedaten
Sonntag, 3. April 2022
Wien Hbf ab 11:10
Břeclav an 12:04
Břeclav ab 12:10
Přerov an 13:12
Přerov ab 14:03
Olomouc an 14:25
Olomouc ab 19:31
Staré Město u Uherského Hradiště an 20:22
Staré Město u Uherského Hradiště ab 20:37
Břeclav an 21:25
Břeclav ab 21:55
Wien Hbf an 22:49
1 Kommentare
Erstaunlich, wie leer und verlassen selbst tschechische Großstädte oft wirken, zumindest außerhalb der Sommerferien.
Ich habe das auch in Pilsen erlebt, wo von November bis April sogar die meisten Museen geschlossen waren: https://andreas-moser.blog/2018/04/29/pilsen/