Ganz oben auf meiner Streunerwunschliste stehen schon seit längerer Zeit die elf Wiener Stadtwanderwege. Hat man mindestens sieben davon absolviert und kann das mit Stempeln belegen, erhält man von der Stadt Wien die goldene Stadtwandernadel. Wenn das mal kein Anreiz ist, sich Schritt für Schritt den Stadtrand zu erobern!
Eines Tages im Mai beschließe ich spontan, mich endlich an dieses Projekt zu wagen. Aber wo anfangen? Ich entscheide mich, ebenfalls spontan, für meine Glückszahl 7. Los geht’s!
Zwischen Tangente und Schrebergarten
Der Ausgangspunkt des Stadtwanderweges 7 ist der Verteilerkreis in Favoriten. Bekannt ist er hauptsächlich aus den Staumeldungen im Radio, immerhin ist die hier verlaufende Südosttangente die meistbefahrene Straße Österreichs. Weniger bekannt ist, dass sich rund um den Verteilerkreis zahlreiche Grünflächen auftun – zum Beispiel der Laaer Berg, den ich in den kommenden Stunden umrunden werde. Ab September 2017 kann man mit der U1 direkt hierher fahren. Derzeit befindet sich allerdings noch eine riesige Baustelle am Ausgangspunkt des Stadtwanderwegs 7. An diesem Sonntag ruht die Arbeit unter einem strahlend schönen Himmel. Die sich gerade auftürmenden Wolkenberge ignoriere ich mal lieber.
Der Weg führt mich zuerst an der Generali-Arena vorbei, wo der Fußballclub Austria Wien beheimatet ist. Weiter geht es durch unspektakuläre Wohnsiedlungen, vorbei an Vorstadthäuschen und prächtig blühenden Blauglockenbäumen. Dann spaziere ich durch eine ausgedehnte Schrebergartensiedlung mit den typischen kuriosen Details, ohne die eine Schrebergartensiedlung einfach nicht existieren kann.
Im Böhmischen Prater
Kaum fühle ich mich halbwegs aufgewärmt, verführt mich der Böhmische Prater schon zur ersten großen Pause. Der Vergnügungspark ist benannt nach seinem deutlich größeren Vorbild jenseits des Donaukanals und den zahlreichen Schaustellerfamilien aus Böhmen und Mähren zu Zeiten seiner Entstehung im 19. Jahrhundert. Ein Besuch hier ist jedes Mal eine Zeitreise zurück in meine Kindheit. Tatsächlich gibt es im Familienalbum Fotos aus den 1990er-Jahren, die belegen, dass sich seitdem nichts geändert hat. Schon schön! Die Events der innerstädtischen Bezirke können mit der hier angebotenen Kombination aus Erdäpfelpuffern, Miniachterbahnen und Drehorgeln einfach nicht mithalten. Schon gar nicht angesichts der herzigen Stoffaffen, die auf jeder Drehorgel einen Platz finden.
Durch die Löwygrube
Kaum habe ich die Vergüngungszeile verlassen, erinnern mich erste Regentropfen daran, dass ich gar kein Regenzeugs eingepackt habe. Ich blicke trotzdem mal optimistisch in den verdunkelten Himmel und ziehe durch die unmittelbar an den Böhmischen Prater anschließende Löwygrube.
Benannt ist die Grube, die entlang des Stadtwanderweges eher eine Anhöhe ist, nach Jacob Löwy (1869-1942). Er besaß mehrere Ziegelwerke im Südosten Wiens, wurde später von den Nazis enteignet und im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Das Areal eines seiner Ziegelwerke wurde in den 1950er-Jahren von der Stadt Wien zu einer Müllhalde umfunktioniert und bekam den Beinamen Löwygrube. Heute ist die Löwygrube ein schönes Freizeitgebiet, in dem ich schon öfter unterwegs war. Hier endet für mich aber der bekannte Bereich des Stadtwanderwegs – ab sofort bin ich auf unbekannten Pfaden unterwegs!
Feldhamster und Gespinste
Nach dem kurzen Weg durch eine Siedlung liegt ein Feld mit wogenden Getreideähren vor mir. Ein Schild weist darauf hin, dass hier die seltenen Feldhamster leben. Leider sehe ich keinen von ihnen, dafür lande ich bald in den Fängen einer anderer Tierart: Die Hecken rund um mich werden gerade von den umtriebigen Raupen der Gespinstmotte zugewebt. Ich schwanke zwischen Faszination und Ekel!
Feld und Gewitter
Der Laaer Berg ist zwar nicht viel mehr als ein Hügel, aber er bietet trotzdem beeindruckende Ausblicke über den östlichen Stadtrand. Mit jedem Schritt entferne ich mich jetzt weiter von der Stadt. Bald beginnen mich Entgegenkommende zu grüßen. Ein Wanderer deutet auf die dunklen Wolken und meint: „Gleich geht’s los!“ Entlang des Kurparks Oberlaa fühle ich mich noch halbwegs sicher, aber dann folgt eine lange Strecke über das freie Feld.
Ein Blitz ist über dem Zentralfriedhof zu sehen, Regen entlädt sich über Schwechat. Donnergrollen setzt ein, begleitet vom Krächzen eines Fasans. Die Luft steht vor lauter Feuchtigkeit. Am Feld biegen sich dunkelrote Kleepflanzen und Kohlköpfe unter ihrer Last. In einer Hecke voller Bienenstöcke suche ich Zuflucht. Es grollt und grollt, aber nichts passiert. Vom Flughafen aus starten weiterhin die Flugzeuge. Also wandere auch ich weiter. Und das Gewitter macht tatsächlich keinerlei Anstalten, sich über mir zu entladen.
Endlich in Unterlaa
Dann wendet sich der Weg und dreht Richtung Südwesten. Dort finde ich ein völlig anderes Bild vor: Bei strahlend blauem Himmel sieht man deutlich die Konturen des Anningers und des Schneebergs in der Ferne. Beim Brückenwirt in Unterlaa bekomme ich den Stempel für den Wanderpass und finde Familien vor, die mit Schnitzel und Pommes den Muttertag feiern. Am Rauchertisch vor der Tür werden derweil Beziehungsprobleme diskutiert. Ich ziehe lieber weiter!
Die Liesing entlang
So unheimlich die Stimmung über dem freien Feld war, so idyllisch wird sie jetzt am Ufer des Liesingbaches. Die Sonnenstrahlen verwandeln meinen Weg in ein grünglänzendes Band. Übermütig spaziere ich an einer flachen Stelle durch die Liesing. Flusskrebse sehe ich leider keine, dafür Wasserpflanzen, die täuschend echt wie Krebsscheren aussehen. Und später finde ich Flusskrebsschaukeln am Spielplatz. Immerhin.
Sommerreigen im Niemandsland
Nach etwa drei Kilometern am Liesingbachweg zweigt der Weg nach rechts ab. Der letzte Abschnitt zurück zum Verteilerkreis geht stetig leicht bergauf. Im Niemandsland, das sich hier auftut, finden sich verlorene Riesenradkabinen ebenso wie Ausblicke über das weite Wiener Becken, Wiesen voller Klee und darauf herumtollende Hunde.
Die Per-Albin-Hansson-Siedlung überrascht mit der Abbildung eines schwedischen Mittsommerreigens auf einer Hausmauer. Die Siedlung war die erste große städtische Wohnhausanlage, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurde. Der viele Grünraum zwischen den Häusern ist zwar schön, aber die ockerbraune Farbe vieler Häuser und der Lärm der nahen Autobahn wirken nicht gerade einladend.
Am Ziel
Weiter geht es an einer Schule vorbei, vor der mehrere Jugendliche sitzen und darauf warten, dass irgendwas passiert. Am Holeyplatz steht verlassen eine moderne Kirche. Dann überquere ich auf einer Brücke die Autobahn und gehe die letzten Meter durch die wilde Heuberggstätten. Und schon bin ich wieder zurück am Ausgangspunkt des Stadtwanderweges!
Wanderfazit
Weg: Verteilerkreis > Böhmischer Prater > Löwygrube > Kurpark Oberlaa > Feldweg > Unterlaa > Liesingbach > Rothneusiedl > Per-Albin-Hansson-Siedlung > Heuberggstätten > Verteilerkreis
Strecke: 14,8 Kilometer
Zeit: 2 Stunden und 50 Minuten (reine Gehzeit)
Urteil: Eine ausgedehnte Wanderung in einem weniger bekannten Teil von Wien, der seinen eigenen Reiz hat. Gut ausgeschildert.
Empfehlung: Die Route umdrehen und den Wandertag im Böhmischen Prater ausklingen lassen!