Vergnügen ist Veränderung: Der Wiener Prater im Wandel der Zeit

von Stadtstreunerin | Eva

Am 9. April 1766 fand sich im Wienerischen Diarium, einer dem Kaiserhof nahestehenden Zeitung, die heute noch unter dem Namen Wiener Zeitung erscheint, eine bemerkenswerte Ankündigung – nämlich:

…daß künftighin und von nun an, zu allen Zeiten des Jahrs, und zu allen Stunden des Tags, ohne Unterschied jedermann in den Bratter sowohl, als in das Stadtgut frey spatzieren zu gehen, zu reiten, und zu fahren, und zwar nicht nur in der Hauptallee, sondern auch in den Seitenalleen, Wiesen und Plätzen (…) erlaubet, auch Niemanden verwehrt seyn soll, sich daselbst mit Ballonschlagen, Keglscheibn, und andern erlaubten Unterhaltungen eigenen Gefallens zu divertiren (… ) Wien den 7. April 1766.

Um das 250-jährige Bestehen des Praters als Ort der Erholung und Vergnügung aller Wiener*innen zu feiern, veranstaltete die Gesellschaft der Freunde der ÖAW im Rahmen einer Wiener Vorlesung einen Radausflug in den Prater. Die Route führte uns an einem heißen Julinachmittag die Hauptallee entlang bis ins Gelände der Galopprennbahn Freudenau. An Zwischenstationen erfuhren die über 100 Teilnehmer*innen im Schatten der Kastanienbäume etwas über Geschichte und Traditionen des Praters.

Wien, die Stadt der Lustbarkeiten

Was wir Wiener*innen immer schon geahnt haben, bestätigte Prof. Hubert Christian Ehalt: Im Gegensatz zu vielen anderen Städten wie beispielsweise Hamburg, wo der Handel im Vordergrund stand, gilt Wien seit Jahrhunderten als Stadt der Lustbarkeiten. Wenn wir uns im Prater also dem Vergnügen widmen, nennt man das folglich nicht Dekadenz oder Prokrastination, sondern – Tradition! Der Prater bietet sogar ganz unterschiedliche Aspekte davon: den lärmenden, farbenfrohen Spaß im sogenannten Wurstelprater natürlich, aber auch den Aufenthalt im Grünen, auf den großflächigen Wiesen und in den wilden Auen.

Begrüßung durch Roland Girtler, Hubert Christian Ehalt, Ursula Storch

Begrüßung

Der wilde Prater

Die Natur als Erholungsraum wurde erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts entdeckt – davor wurde sie eher als Bedrohung wahrgenommen -, aber dann umso lieber in der Freizeit genützt. Der Forstdirektor der Stadt Wien, Dipl.-Ing. Andreas Januskovecz, erklärte uns, dass Wien besonders privilegiert ist, was diese Art von Vergnügung angeht: Ganze 25 Prozent der Stadt sind Waldfläche – und diese gibt es teilweise nur deswegen, weil der Adel seit jeher Gebiete umzäunt hat, um dort der Jagd nachzugehen. Der Prater wurde schon 1162 erstmals in Urkunden erwähnt, aber er ist vermutlich wesentlich älter. Die Prater Hauptallee wurde übrigens 1538 gebaut, um zwei beliebte Jagdgebiete – den Prater und den Augarten – zu verbinden, und auch der Praterstern ist als wichtige Wegkreuzung schon über 300 Jahre alt. 

Praterwildnis mit Ente

Praterwildnis mit Ente

Zweimal veränderte der Prater in den letzten Jahrhunderten sein Aussehen radikal: durch die Donauregulierung ab den 1870er Jahren – davor floss die Donau wild und unberechenbar an der Stadt vorbei – und nach dem Zweiten Weltkrieg, als im Prater der Schutt der zerstörten Stadt abgelagert und Nebenarme der Donau zugeschüttet wurden. Die MA49, deren Leiter Januskovecz ist, ist u.a. für die genaue Überwachung des Baumbestandes zuständig, um gröbere Schäden bei Orkanen zu vermeiden. Die Stadtbevölkerung hat einen eigenen Zugang zur Natur, der manchmal verklärt sein kann und dann wieder sehr pragmatisch ist – das Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Erholung ist jedenfalls eine Herausforderung für die Stadt, die hier stark auf die Kooperation mit den Bürger*innen setzt. (Dass es dafür eine eigene Anlaufstelle gibt, ist weltweit selten in größeren Städten.) Eine wichtige Dimension ist dabei die Zeit: Die Kastanienbäume der Hauptallee werden z.B. zwischen 200 und 300 Jahre alt, was eine andere Art zu denken und zu handeln erfordert.

Ohne Jause geht’s aber nicht!

Als Joseph II. den Prater 1766 für die Öffentlichkeit freigegeben hatte, wurde innerhalb von zwei Wochen der Ruf laut, dass es doch eine Genehmigung für den Verkauf von Kaffee, Tee und Gefrorenem geben soll. Schon damals dachte man sich: Was wäre schon der Aufenthalt im Grünen ohne ein g’scheites Kaffeehaus! Bald wurde auch die erste Rutsche gebaut und die Geschichte der Praterlustbarkeiten nahm ihren Lauf.

Die Praterexpertin Dr.in Ursula Storch – Vizedirektorin des Wien Museums und als solche auch zuständig für die aktuelle Ausstellung „In den Prater!“ – erzählte uns mehr davon: Sehr beliebt war zum Beispiel die Schau „Venedig in Wien“, wo im Prater ein kleines Venedig mitsamt einem Kanal nachgebaut wurde. In Zeiten, wo das Reisen für die meisten noch unerschwinglich war, war es eine Sensation, am späteren Nachmittag mal schnell „nach Venedig“ zu fahren und den Liebsten eine Ansichtskarte von dort zu schicken. Da der Eintritt in das Areal kostenpflichtig war, hatte der Besitzer Interesse daran, die Schau attraktiv zu halten, und baute sie jedes Jahr ein bisschen mehr um, bis „Venedig“ schließlich nicht mehr existierte. Was allerdings davon übrig blieb: das Riesenrad, das 1897 als Teil der Schau gebaut wurde – ursprünglich als temporäres Vergnügen gedacht, hat es die Zeiten überdauert und ist heute eines der Wiener Wahrzeichen schlechthin.

Allerhand Ausstellungen

Der Prater ist außerdem für die Weltausstellung von 1873 bekannt: Dafür wurden der über einen Kilometer lange Industriepalast, an die 200 kleinere Gebäude und die Rotunde erbaut, auf deren Gelände heute die Neubauten der Wiener Wirtschaftsuni stehen. Bis auf die Rotunde (die 1937 abbrannte) wurde alles nach wenigen Monaten wieder abgerissen und machte Platz für Wiesen, auf denen Zirkus- und Sportveranstaltungen stattfinden konnten. Der Bauschutt der Rotunde wurde dazu genützt, um den sieben Meter hohen Konstantinhügel aufzuschütten, auf dem ein feines Restaurant Platz hatte. Die künstliche Grotte und der Wasserfall sind heute zugewachsen, aber bei genauem Hinschauen noch erkennbar.

Später – der ursprüngliche Besitzer war längst in Konkurs gegangen – nutzte die Stadt das Areal für Propaganda: 1916 gab es eine Kriegsausstellung, wo der Bevölkerung u.a. in Nachbauten gezeigt wurde, wie Schützengräben von innen aussehen. Dass der Prater auch als Veranstaltungsort für die beliebten „Völkerschauen“ diente, wo man als „wild“ und „exotisch“ geltende Menschen „besichtigen“ konnte, wurde leider nicht angesprochen. Dabei sind diese Schauen bis heute kaum aufgearbeitet und so wirkt ihr rassistisches, menschenfeindliches Gedankengut immer noch nach – bleibt zu hoffen, dass es in der aktuellen Ausstellung thematisiert wird!

Kapplbuam und Pråterhurn

Der ‚vagabundierende Kulturwissenschafter‘ Prof. Roland Girtler erzählte uns dann mehr über eine andere Pratertradition: die Straßenprostitution, die seit 2011 in dem Viertel rund um den Praterstern verboten ist. Seit seiner Eröffnung galt der Prater als einer der Orte schlechthin, um erotische Bekanntschaften zu schließen und sexuelle Dienstleistungen anzubieten. Zuhälter waren früher als ‚Kapplbuam‘ bekannt, weil sie als unverheiratete Männer keinen Hut tragen durften und daher eine Kappe als Kopfbedeckung wählten. Die Prostituierten wurden als ‚Pråterhurn‘ bezeichnet und bemühten sich um ein gutes Verhältnis mit der Polizei, um weiterhin ihr Gewerbe ausüben zu können. Girtler durfte vor einigen Jahren als erster und bisher einziger Außenstehender bei einer Polizeistreife mitfahren und die Szene beobachten. Sein Fazit dazu: „Eine eigene Welt mit eigener Sprachkultur“.

Dass das auch in anderen Bereichen galt, verdeutlichte Girtler anhand des berühmten Calafati (auch Calafatti), einer riesigen Figur eines Chinesen, die ursprünglich Teil eines Ringelspiels war – dieses gehörte dem griechischstämmigen Praterunternehmer Basilio Calafati. Immer wieder mischten im Prater Menschen aus anderen Kulturen mit und brachten neue Ideen nach Wien. Überhaupt zeichnete eine große Fantasie die „Praterleut“ aus, immerhin mussten sie den Prater ständig spannend und attraktiv halten. Schießbuden und Kegelbahnen sind von Anfang an Teil dieser Tradition, später kamen Eisenbahnen und Ringelspiele dazu – zusammen mit unterschiedlichen kulinarischen Angeboten und der Möglichkeit zum gepflegten Flanieren sorgten sie für immer neue Vergnügungen. Das gilt bis heute: Haarsträubende Innovationen wie der Praterturm (das höchste Karussell Österreichs) oder die Schwarze Mamba tragen zur Abwechslung bei, dazwischen mischen sich altehrwürdige Institutionen wie die Hochschaubahn oder der Rutschturm Toboggan.

Pferdchen, lauf Galopp!

Aber zurück zu unserem Ausflug: Vorbei an Fiakerkutschen und dem Lusthaus ging es bis zur Galopprennbahn in der Freudenau, wo uns Julia Habel vom Interrace Rennbahn Management begrüßte. Als Hausherrin blickte sie von der Tribüne stolz auf die Galopprennbahn, die – 1839 eröffnet – als eine der schönsten Pferderennbahnen weltweit gilt, aber heute leider nur mehr selten öffentlich zugänglich ist.

Blick auf die Galopprennbahn Freudenau

Blick auf die Galopprennbahn

Die Freudenau war bekannt für ihre herausfordernde Rennbahn: Die letzte Strecke vor dem Ziel ist ungewöhnlich lang und die Jockeys müssen mit der Energie ihrer Pferde gut haushalten. Die verschiedenen Tribünen – für den kaiserlichen Hof, für die Pferdebesitzer*innen, für die Jockeyclubmitglieder – wurden nur ein bis zwei Wochen im Jahr genutzt: In der Monarchie fanden hier ausschließlich die Rennen selbst statt, während das Training unter dem Jahr in den Gestüten der Kronländer stattfand. Mit Ende des Ersten Weltkriegs wurde die Freudenau zu einer Trainingsbahn umgebaut und 1996 privatisiert. Zuletzt fanden hier 2008 Pferderennen statt – das Interesse an Pferdesport ist hierzulande (wie auch in den meisten anderen Teilen Europas) enden wollend und der Bau des Magna Racinos in Ebreichsdorf durch Frank Stronach tat ein Übriges, um das Publikum zu zerstreuen.

Märchenhaftes Gebäude bei der Galopprennbahn, im Vordergrund ein Fahrrad

Märchenhaftes Gebäude

Zum Schluss noch eine Wallfahrt

Abschließend organisierte Girtler in kleiner Runde noch einen kurzen Radausflug, der uns durch unberührte Wildnis bis zur Wallfahrtskirche Maria Grün führte, die sich inmitten des Praterwaldes versteckt. Dort fanden wir allerhand religiöse Symbole, aber auch das vom örtlichen Pfarrer initiierte eindrucksvolle Denkmal für an HIV/AIDS verstorbene Menschen, über dem es sich einer der seltenen Baumfalken gemütlich gemacht hat. Und dann löste sich unsere kleine Gruppe auf, um sich weiterhin traditionsbewusst den „erlaubten Unterhaltungen eigenen Gefallens“ zu widmen…

In Memoriam

In Memoriam


Literaturempfehlung

Girtler Roland (2016): Streifzug durch den Wiener Wurstelprater. Die bunte Welt der Schausteller und Wirte. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag

Ausstellungstipp

Sex in Wien. Lust. Kontrolle. Ungehorsam. Wien Museum am Karlsplatz (noch bis 22.01.2017)

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