Unterwegs in den Kellern von Wien

von Stadtstreunerin | Eva

Unlängst hatte ich die Gelegenheit, an einer Führung durch das weitläufige Kellersystem der Wiener Innenstadt teilzunehmen. (Danke, Gerfried!) Die Geschichten und Geheimnisse, die in den Untiefen der Stadt gespeichert sind, könnten wohl dutzende Bücher füllen. Immerhin ist die Innenstadt seit dem 15. Jahrhundert vollständig unterkellert!

Jahrhundertelang sicherten die Keller das Überleben der Stadtbevölkerung: Hier wurden Lebensmittel, Wasser, Wein und andere Dinge gelagert. Im Winter wurden von überall her Eisblöcke in die Stadt gekarrt, die in speziellen Eiskellern bis zur nächsten Saison hielten und die Waren kühlten. Die Eisblöcke wurden dabei aus nahegelegenen Teichen und Weihern geschnittten, stammten oft aber auch von weiter her, etwa aus dem Salzkammergut. Im ausgehenden 19. Jahrhundert entstand rund um die Alte Donau eine kleine Eisblockindustrie, die Wirtshäuser und Fleischhauer in ganz Wien belieferte. Spätestens mit der Erfindung des Kühlschranks wurde das eisige Gewerbe aber obsolet.

Im Zweiten Weltkrieg wurden die Keller als Luftschutzanlagen genutzt, die von der Stadtbevölkerung bei Bombenangriffen aufgesucht wurden. Zum Teil waren die Keller untereinander verbunden und ermöglichten den Ausstieg, selbst wenn mehrere Ausgänge blockiert waren. Aber nicht immer erfüllten die Keller ihre überlebenswichtige Funktion: Besonders tragisch ging die Bombardierung des Philipphofs am 12. März 1945 aus, als hunderte Menschen in den Kellern verschüttet wurden. Heute erinnert nur eine kleine Gedenktafel zwischen Albertina und Staatsoper daran. 

Im Tostmann-Keller

Aber nun ab in den Untergrund, um den ersten Keller unserer Tour zu inspizieren: Im Trachtenfachgeschäft Tostmann in der Schottengasse befindet sich hinter der Kassa ein unscheinbarer Abgang, der bei Renovierungsarbeiten zufällig entdeckt wurde. Das erste Untergeschoß wurde schön hergerichtet und wird heute für Produktpräsentationen genutzt. Im zweiten Untergeschoß ist der Keller schon eher so, wie man sich einen Keller vorstellt: verwinkelte und enge Gänge, Wände aus Ziegelsteinen, abgesperrte Ecken, allerhand zur Schau gestelltes Zeug. Die Pferdestatue in einer der Kellernischen beruht übrigens nicht auf historischen Begebenheiten: Hier wurden nie Tiere gehalten.

In den Untiefen des Schottenstifts

Als nächstes suchten wir die Krypta des Schottenstifts auf. Nur wenige Stufen trennen die normale Welt von dem Untergrund, der sich hier überraschend geräumig zeigt. Ein Altar, eine Orgel und zahlreiche Sessel deuten daraufhin, dass hier Gottesdienste abgehalten werden; in den Nischen verbergen sich Gräber, Inschriften und rätselhafte Wege ins Nichts. Am Ende eines dunklen Ganges befindet sich das Grab von Heinrich II. aus dem Geschlecht der Babenberger, besser bekannt als Heinrich Jasomirgott (1107-1177), der im Jahr 1155 das Schottenstift gründete. 

Bäche und Rohre

Am Weg zum nächsten Keller überquerten wir auf der Freyung den Tiefen Graben. Früher floss hier der Ottakringerbach, der in der Römerzeit als Graben vor der Stadtmauer des Lagers Vindobona diente. Heute verlaufen die meisten Wiener Bäche unterirdisch, aber sie prägen nach wie vor die Geographie der Stadt. Merkbar ist das zum Beispiel auf dem Radweg entlang des Gürtels, der ein einziges Auf und Ab ist! 

Ein anderes spannendes Untergrundphänomen ist das ehemals gut ausgebaute Rohrpostsystem, das sich bis zum Zweiten Weltkrieg großer Beliebtheit erfreute. Bis zu 80 Kilometer Rohrleitungen sorgten dafür, dass Briefe innerhalb von drei Stunden zugestellt werden konnten. Auf speziellem Flugpostpapier wurden die Mitteilungen mit 50km/h hin- und hergeschickt. Obwohl diese Art der Kommunikation längst nicht mehr zeitgemäß erscheint, war sie bis vor kurzem noch in Gebrauch – bekannt dafür ist das Parlament: Mit der Rohrpost konnten Dokumente zwischen dem Parlamentsgebäude selbst und mehreren Nebengebäuden verschickt werden. Leider fehlen die Ersatzteile, sodass die Rohrpost mit der Renovierung des Parlaments wohl endgültig der Geschichte angehört.

Zuckerschock im Keller

Die nächste Kellerbesichtigung führte uns in den Keller des Kaffeehauses Demel am Kohlmarkt. Wir mussten uns zuerst vorbei an begeisterten Menschenmengen quetschen, bevor wir in die exklusiveren Kellerräumlichkeiten hinabsteigen konnten. Unten warteten zahlreiche legendäre Zuckerfiguren vom Demel auf uns: eine Tänzerin mit Brüsten in Form von Eisstanitzeln, eine Ballbesucherin mit einem Kleid aus Kipferln, daneben Pferde, Elefanten und Musikinstrumente. Eine skurrile Truppe, die bestimmt jeden Abend zum Tanz lädt!

Untergrund überall

Wenn man darauf achtet, ist der Untergrund sehr präsent in Wien: Zahlreiche Gaststätten in der Innenstadt werden als Kellerlokale geführt, zum Beispiel der Esterházykeller, der Augustinerkeller, der Zwölf Apostelkeller oder der Melker Stiftskeller. Nicht zu vergessen natürlich die U-Bahn, die in der Innenstadt nur unterirdisch fährt, und deren Stationen zum Teil besondere Einblicke gewähren: In der Station Stephansplatz wurde bei den Bauarbeiten in den 1970er Jahren die mittelalterliche Virgilkapelle wiederentdeckt, die heute besichtigt werden kann. Oder auch die öffentlichen, denkmalgeschützten Toiletten am Graben im Jugendstil, die mit so edlen Materialien wie Teakholz gebaut wurden. Die Hinweisschilder enthalten gleichzeitig Schlitze, die zur Entlüftung der Anlage dienen.

Kellersprachen

Manchmal sorgen die Keller für unerwartete sprachliche Begegnungen: So ist das Grab von Heinrich II., seiner Gattin Theodora Komnene und ihrer gemeinsamen Tochter Agnes auf Deutsch, Griechisch und Ungarisch beschriftet. Ein Blick auf ihre adeligen Funktionen macht schnell klar, warum: Theodora war u. a. Prinzessin von Byzanz und Agnes Königin von Ungarn. Deutlich modernere Gründe hat dagegen die japanische Aufschrift neben der englischen im Demel-Keller.

Auf in den Weinkeller!

Zuletzt konnten wir noch in den geräumigen Keller des Spezialitätengeschäfts Porta Dextra hinabsteigen. Drei Stockwerke ging es hinab. Tatsächlich waren die Keller früher oft so tief, wie die Häuser hoch waren! Heute werden hier hunderte Flaschen Wein gelagert und ab und zu kulturelle Veranstaltungen durchgeführt. In die ziegelsteinernen Wände mischen sich grobe Steinblöcke, die noch aus dem Stadttor des römischen Lagers Vindobona stammen – daher auch der Name des Geschäfts. Von den drei Brunnen, die für die Wasserversorgung zuständig waren, ist nur einer erhalten geblieben, der längst trockengelegt wurde. In seine Tiefe lässt sich gut hineinstarren und spekulieren, wie das Leben in den Kellern war – damals, lange vor Errichtung der Wiener Hochquellenwasserleitung. 

Viel gäbe es noch zu erzählen von den Verbindungswegen zwischen den Gebäuden, von alchemistischen Experimenten, von Grüften und Lüftungsanlagen und lebensrettenden Aufschriften. Doch dazu vielleicht ein andermal…


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Über die Vor- und Nachteile der Rohrpost lässt sich hier und hier noch mehr erfahren. 

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2 Kommentare

Vilinthril 8. April 2017 - 14:15

Lustigerweise steht beim Demel auf Japanisch keine Übersetzung der Texte darüber, sondern „creating chocolate“. ^^

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Stadtstreunerin 8. April 2017 - 14:42

Wirklich? Witzig 😀

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